Stachelzart
übernachten mussten, stand fest. Aber wo? Sams Bett war ein schmales Einzelbett und bereits mit der schlafenden Vera belegt. Ansonsten kam nur die Couch, auf der wir saßen, in Frage. Und die war gerade breit genug für eine Person. Blieben also noch zwei Personen übrig.
„Sam, wo sollen wir eigentlich schlafen?“, erkundigte ich mich bei unserem unfreiwilligen Gastgeber.
„Hm, gute Frage“, überlegte Sam. „In meinem Bett liegt schon deine Mutter. Eine zweite Person hat dort keinen Platz. Ihr könnt hier im Wohnzimmer auf der Couch und auf dem Fußboden schlafen. Ich habe noch eine Isomatte. Ich schlafe dann drüben in der Scheune im Heu. Das mache ich im Sommer öfter. Jetzt ist es zwar eigentlich ein bisschen zu kalt dafür, aber irgendwo müsste ich noch einen Schlafsack haben. Damit sollte es gehen.“
Sam ging zum Kamin und legte noch etwas Holz nach. Dann drückte er auf den Lichtschalter an der Wand neben dem Kamin. Nichts passierte. „Dachte ich mir schon“, murmelte er.
„Was? Was dachtest du dir schon?“, fragte ich alarmiert.
„Wir haben keinen Strom. Die Leitung scheint durch den Erdrutsch zerstört worden zu sein.“
„Was?“, ich sprang auf und drückte auf alle Lichtschalter, die ich finden konnte.
Tatsächlich!
Es passierte nichts.
„Kann es sein, dass die Sicherung rausgeflogen ist?“ So schnell wollte ich die Hoffnung nicht aufgeben.
„Glaube ich kaum“, meinte Sam, ging aber dennoch in den Flur und öffnete den Sicherungskasten. „Nein, daran liegt es nicht. Wir werden uns wohl mit dem Gedanken anfreunden müssen, keinen Strom zu haben. Zum Glück habe ich immer Kerzen im Haus. Wenn man so weit abseits lebt, sollte man damit rechnen, dass der Strom mal ausfallen kann. Deshalb habe ich auch einen Herd, der mit Gas kocht.“
Sam holte ein paar Kerzen und zündete sie an. Dann ließ er uns kurz alleine, um nach Isomatte und Schlafsack und T-Shirts zu suchen.
Ich stütze die Hände in den Kopf und rührte betrübt in meinem mittlerweile erkalteten Tee. Kay König schien die Aussicht gleich nur noch bei Kerzenschein sehen zu können, nicht zu erschüttern.
„Das hat doch was Romantisches. Du und ich gleich alleine in diesem Raum, Kuscheln bei Kerzenschein ...“ Er grinste anzüglich.
„Dir geht es anscheinend wieder besser!“, stellte ich genervt fest.
Hätte das Schicksal mir nicht einen netten unaufdringlichen Typen der Marke „bester Kumpel“ schicken können?
Stattdessen hatte ich einen Typen der Marke „selbstverliebter Aufreißer“ bekommen.
„Das, mein Lieber, kannst du so was von vergessen. Du schläfst auf der Isomatte und ich nehme die Couch“, bestimmte ich.
Kay machte einen Schmollmund. „Wie schade!“
„Kannst du dich vielleicht mal zusammen reißen?“, fauchte ich. „Bist du immer so oberflächlich? Meine Mutter liegt drüben krank im Bett, wir wären heute fast draufgegangen, wir haben keinen Strom mehr und ich habe keine Ahnung, wann wir hier wieder weg können. Und du machst die ganze Zeit nur dumme Sprüche. Dich hätte der Erdrutsch doch auch fast erwischt. Was ist denn mit dir los?“
„Entschuldige. Ich wusste ja nicht, dass du so wenig Spaß verstehst. Uns ist doch allen nichts wirklich Schlimmes passiert. Deine Mutter wird schon wieder. Im schlimmsten Fall sitzen wir hier ein paar Tage ohne Strom fest. Na und? Als Kind hätte ich das total spannend gefunden. Du nicht? Oder warst du schon immer so fantasielos?“
„Ich und fantasielos? Das ist ja wohl eine Frechheit! Hast du überhaupt eine Ahnung, wer ich bin?“ Dieser Mann machte mich echt fertig.
„Nein. Erzählst du es mir?“, fragte er interessiert.
Eigentlich hatte ich keine große Lust, Kay König mehr über mich zu verraten. Aber mit der Fantasielosigkeit hatte er einen wunden Punkt bei mir getroffen. Ich zweifelte momentan nämlich selbst an meiner Kreativität, denn ich wurde diese verdammte Schreibblockade nicht los. Aber das würde ich einem dahergelaufenen Schauspieler bestimmt nicht erzählen. Und bis vor kurzem hatte ich mit meiner Fantasie ja auch noch keine Probleme gehabt.
„Ich bin Autorin“, entgegnete ich also.
„Echt? Das ist ja spannend. Was schreibst du denn so?“
„Romantische Geschichten mit Fantasie“, konterte ich.
„Oh“, machte Kay. Weiter kam er nicht, denn Sam tauchte wieder im Wohnzimmer auf.
„Hier, ich habe jedem von euch ein T-Shirt mitgebracht.“ Er legte zwei ausgewaschene T-Shirts auf den Couchtisch. „Und ich
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