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Stadt aus Glas

Titel: Stadt aus Glas Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Paul Auster
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unempfindlich für alles sein konnte, was er sah? Der alte Mann fragte ihn, wer er sei.
    »Mein Name ist Peter Stillman«, sagte Quinn.
    »Das ist mein Name«, antwortete Stillman. »Ich bin Peter Stillman.«
    »Ich bin der andere Peter Stillman«, sagte Quinn.
    »Oh, Sie wollen sagen, mein Sohn. Ja, das ist möglich. Sie sehen aus wie er. Natürlich ist Peter blond, und Sie sind dunkel. Nicht Henry Dark, aber dunkelhaarig. Doch die Menschen ändern sich, nicht wahr? In der einen Minute sind wir das eine und in der anderen etwas anderes.«
    »Richtig.«
    »Ich habe oft über dich nachgedacht, Peter. Oft habe ich mir gedacht, ich möchte wissen, wie es Peter geht.«
    »Es geht mir jetzt viel besser, danke.«
    »Freut mich, das zu hören. Irgendwer sagte mir einmal, du seist gestorben. Das hat mich sehr traurig gemacht.«
    »Nein, ich habe mich vollständig erholt.«
    »Ich sehe es. Gesund wie ein Fisch im Wasser. Und du sprichst auch so gut.«
    »Alle Wörter stehen mir jetzt zu Gebote. Auch solche, mit denen die meisten Leute Schwierigkeiten haben. Ich kann sie alle sagen.«
    »Ich bin stolz auf dich, Peter.«
    »Ich verdanke alles dir.«
    »Kinder sind ein großer Segen. Das habe ich immer gesagt. Ein unvergleichlicher Segen.«
    »Ganz gewiß.«
    »Was mich betrifft, ich habe meine guten Tage und meine schlechten Tage. Wenn die schlechten Tage kommen, denke ich an die guten. Die Erinnerung ist ein großer Segen. Das Beste nach dem Tod.«
    »Ohne Zweifel.«
    »Natürlich müssen wir auch in der Gegenwart leben. Ich, zum Beispiel, bin im Augenblick in New York. Morgen könnte ich schon anderswo sein. Ich reise viel, weißt du. Heute hier, morgen fort. Das gehört zu meiner Arbeit.«
    »Es muß sehr anregend sein.«
    »Ja, ich habe genug Anregung. Mein Geist steht nie still.«
    »Es ist gut, das zu hören.«
    »Ich spüre die Jahre schon sehr, das ist wahr. Aber wir müssen für so vieles dankbar sein. Die Zeit läßt uns alt werden, aber sie gibt uns auch den Tag und die Nacht. Und wenn wir sterben, ist immer jemand da, der unseren Platz einnimmt.«
    »Wir alle werden alt.«
    »Wenn du alt bist, hast du vielleicht einen Sohn, der dich tröstet.«
    »Das würde mir gefallen.«
    »Dann wärst du so glücklich, wie ich es gewesen bin. Denk daran, Peter, Kinder sind ein großer Segen.«
    »Ich werde es nicht vergessen.«
    »Und denk auch daran, daß du nicht alle deine Eier in einen Korb legen darfst. Umgekehrt, zähle deine Küken nicht, bevor sie ausgeschlüpft sind.«
    »Nein. Ich versuche alles zu nehmen, wie es kommt.«
    »Und schließlich, sage nie etwas, wovon du in deinem Herzen weißt, daß es nicht wahr ist.«
    »Das werde ich nicht tun.«
    »Lügen ist schlecht. Es läßt dich bedauern, daß du je geboren wurdest. Und nicht geboren worden zu sein, ist ein Fluch. Du bist dazu verdammt, außerhalb der Zeit zu leben. Und wenn du außerhalb der Zeit lebst, gibt es keinen Tag und keine Nacht. Du hast nicht einmal die Chance zu sterben.«
    »Ich verstehe.«
    »Eine Lüge kann nie ungeschehen gemacht werden. Auch die Wahrheit reicht dazu nicht aus. Ich bin Vater und weiß über diese Dinge Bescheid. Erinnere dich, was mit dem Vater unseres Landes geschah. Er fällte den Kirschbaum und sagte dann zu seinem Vater: >Ich kann nicht lügen.< Kurz darauf warf er die Münze über den Fluß. Diese beiden Ereignisse sind entscheidend für die amerikanische Geschichte. George Washington fällte den Baum, und dann warf er das Geld weg. Verstehst du? Er sagte uns eine wesentliche Wahrheit. Nämlich, daß Geld nicht auf Bäumen wachst. Das hat unser Land groß gemacht, Peter. Jetzt ist George Washingtons Bild auf jedem Dollarschein zu sehen. Aus alldem ist eine wichtige Lektion zu lernen.«
    »Ich bin ganz deiner Meinung.«
    »Natürlich ist es bedauerlich, daß der Baum umgehauen wurde. Dieser Baum war der Baum des Lebens, und er hätte uns gegen den Tod gefeit. Jetzt heißen wir den Tod mit offenen Armen willkommen, besonders wenn wir alt sind. Aber der Vater unseres Landes kannte seine Pflicht. Er konnte nicht anders handeln. Das ist der Sinn des Satzes: >Das Leben ist eine Schale voll Kirschen.< Wäre der Baum stehengeblieben, hätten wir das ewige Leben gehabt.«
    »Ja, ich verstehe, was du meinst.«
    »Ich habe viele solche Ideen im Kopf. Mein Geist steht nie still. Du warst immer ein kluger Junge, Peter, und ich bin froh, daß du mich verstehst.«
    »Ich kann dir vollkommen folgen.«
    »Ein Vater muß seinen Sohn immer die

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