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Stadt der blauen Paläste

Stadt der blauen Paläste

Titel: Stadt der blauen Paläste Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: bayer
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hat es so gewollt«, hatte er mit aller Entschiedenheit gefordert.
    »Das hat er ganz gewiss nicht«, widersprach Crestina.
    »Es stand so im Testament«, beharrte Clemens.
    »Genau das tat es nicht«, sagte Crestina mit Nachdruck. »Es steht dort, dass du der Nachfolger sein wirst, aber es ist kein Zeitpunkt angegeben. Dort steht auch, dass du der alleinige Erbe sein sollst, aber dazu hätte es keine testamentarische Verfügung gebraucht. Das war ohnehin klar.«
    »Dann gib mir irgendeine Erklärung, weshalb es nicht jetzt sein kann. Oder wann es denn überhaupt sein kann?«
    Crestina überlegte einen Augenblick, goss sich dann Kakao ein.
    »Was würdest du tun, wenn sämtliche Entscheidungsrechte noch heute an dich übergingen?«, fragte sie dann in der Hoffnung, dass sie ihren Sohn damit in Schwierigkeiten bringen und ihre Frage nichts als Gestammel auslösen würde.
    »Das kann ich dir genau sagen«, erwiderte Clemens, ohne lang nachzudenken. »Dass wir wieder einmal von den Türken bedroht sind und die Stadt Schiffe braucht, dürftest du wissen, oder?«
    Crestina nickte zögernd, legte ihr Messer zur Seite.
    »Dass die Stadt die fehlenden Schiffe in solch einem Fall chartern muss, dürfte dir ebenfalls bekannt sein, und –«
    Crestina nickte ein zweites Mal und unterbrach ihren Sohn dann.
    »Dein Vater hat nie Schiffe an die Stadt freigegeben«, stellte sie dann fest, »soviel ich weiß.«
    »Und weshalb nicht?«
    »Schiffe zu vermieten ist ein großes Risiko. Man kann sie nicht zu einem Viertel oder zur Hälfte vergeben, so wie das bei einer großen Flotte üblich ist. Und wenn das geschieht, was vor einigen Jahren passiert ist, dass das gesamte venezianische Geschwader bei einem Seesturm vernichtet wird, dann ist klar, wer den Schaden hat.«
    »Wer nichts wagt, gewinnt auch nichts«, sagte Clemens hart. »Und so, wie du die Reederei nach Vaters Tod führst, kann sie nichts gewinnen. Oder zumindest nicht genug, sodass wir uns den Lebensstil in diesem Palazzo auch weiterhin leisten können.«
    »Ich habe ihn vermietet, zumindest zum Teil«, rechtfertigte sich Crestina.
    »Aber wie lange noch?«, hakte Clemens nach. »Lea will über kurz oder lang nach Sulzburg gehen, Moise wird nach Rom ziehen oder nach Livorno, und deine Freundin Margarete hat anklingen lassen, dass sie auf Nimmerwiedersehen mit Kamelen ins Weihrauchland verschwinden wird. Was wird dann sein?«
    »Ich werde neu vermieten«, gab Crestina lahm zurück. »Falls es wirklich nötig wird.«
    Clemens legte seine Serviette auf den Tisch und erhob sich.
    »Die Stadt braucht Schiffe. Sie braucht sie jetzt. Und du weißt genau, dass die Familien, die in der Vergangenheit die Stadt bei der Deckung der Kriegslasten unterstützt haben, in das Patriziat aufgenommen wurden.«
    Crestina stand ebenfalls auf, diesmal mit einer entschiedenen Miene.
    »Das Patriziat interessiert mich nicht.«
    »Aber deinen Vater hat es immer interessiert und deine Mutter gleich dreimal.«
    »Meine Stiefmutter hätte alles interessiert, das ihr erlaubt hätte, ihren Kopf auch nur einen Zentimeter höher zu tragen als jede andere Frau in der Stadt und die Zahl der Geschmeide an ihrem Hals oder an ihren Ohren noch einmal um ein paar Kilo zu erhöhen.«
    Es war Crestina klar, dass die Übergabe der Reederei an diesem Tag nicht zu Ende diskutiert werden konnte. Es war ihr auch klar, dass sie allmählich einen Dreifrontenkrieg zu führen hatte mit ihren Kindern. Und wenn auch Bianca inzwischen aus dieser Phalanx ausgebrochen war, weil sie mit Margarete gehen wollte, so war dieser Konflikt doch gegenwärtig: Erst vor zwei Tagen hatte sie wieder Zweifel an ihrer Entscheidung kundgetan, mit Margarete zu gehen.
    Umso beruhigter war Crestina, als sie am selben Tag etwas erfuhr, was die Wogen wenigstens von einer Seite her etwas glättete. Dies vor allem deswegen, weil es diesmal mit Ludovico zu tun hatte, den sie bisher stets als den größten Störenfried betrachtet hatte.
    Sie war durch Castello gegangen, einen Stadtteil, in den sie sich normalerweise recht selten begab. Aber nach diesem Gespräch heute Morgen hatte sie plötzlich das Bedürfnis verspürt, zum Arsenal zu gehen, weil sie ihre Schiffe besuchen wollte, die dort zur Reparatur lagen. Schiffe, die bis jetzt noch ihre Schiffe waren. Dabei war sie an einer kleinen Werft vorbeigekommen, in deren dunkler Halle sie Ludovico hatte stehen sehen.
    Sie stockte, machte einen Schritt auf den Raum zu, in dem ihr Sohn zusammen mit einem

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