Stadt der Blumen strava3
Kathedrale, deren Kuppel die Stadt beherrschte. Sie umkreiste sie unsicher in östlicher Rich
tung. Woher sollte sie wissen, wo genau das Atelier von Giuditta im Gewirr all der kleinen Gebäude war?
Die Statue der Duchessa war fertig. Sky und Nicholas starrten sie ehrfurchtsvoll an. Nicholas hatte Arianna nie gesehen; er war damals schon bewusstlos gewe
sen, als sie nach Remora gekommen war. Und Sky hatte sie bisher nur einmal gesehen.
Trotzdem erkannten beide, dass die Statue ein Meisterwerk war. Stolz, selbstbe
wusst und strahlend sah sie aus. Ihre Schöpferin stand ihr gegenüber, fast ge
nauso strahlend wie ihr Werk.
»Sie hat die Duchessa nach ihrem eigenen Bild gemacht«, flüsterte Nicholas.
»Nur schöner«, setzte Sky hinzu.
»Mag sein«, sagte Nicholas. »Aber Giuditta ist auch schön – auf ihre Art.«
»Lass sie das lieber nicht hören«, sagte Sky. »Ich kann mir denken, dass sie Schmeicheleien nicht mag.«
»Das bringt mich drauf«, sagte Nicholas. »Ob Georgia wohl zurechtkommt?«
»Ich geh mal nach ihr suchen«, meinte Sky.
Der Gang zu Giudittas Werkstatt war Nicholas’ erster Testlauf als Benvenuto gewesen und er war keinem irgendwie aufgefallen. Er fand zwar, dass einer der Lehrlinge – ein blonder Knabe mit engelhaften Locken – ihn ein wenig zu lange angestarrt hatte, aber er schob es auf eine natürliche Neugier. Nun ließ er den Blick fasziniert auf Giuditta ruhen. Er wusste, dass sie die Gedenkstatue für ihn gestaltet hatte, und der Gedanke berührte ihn seltsam.
Sky stand im Schutz der Kathedrale vor dem Atelier, blieb jedoch unter der Tür stehen, damit man nicht merkte, dass er keinen Schatten hatte. Schon bald wurde er belohnt, denn in der Ferne entdeckte er eine vertraute Gestalt mit rotweiß-schwarz gestreiftem Haar. Er konnte ihr nicht lautstark zurufen, denn es gehörte sich wohl kaum für einen Novizen, eine hübsche, junge Frau auf der Straße zu grüßen, stattdessen aber machte er sich die Tatsache zu Nutze, dass sie beide Stravaganti waren: Er schloss die Augen und richtete seine Gedanken auf sie, um sie herbeizuführen.
Als er die Augen wieder öffnete, sah er Georgia erleichtert auf sich zukommen.
Er winkte sie ins Atelier. Franco betrachtete den Neuankömmling interessiert und plötzlich sah Sky Georgia mit den Augen des Lehrlings. Die hoch gewachsene und recht graziöse Gestalt in dem einfachen rostfarbenen Kleid und mit den theatralischen Farben im Haar konnte beides sein: eine verkleidete Adlige oder ein einfaches Mädchen von der Straße. Egal, wie, sie sah nicht wie die passende Bekannte von zwei jungen Novizen aus. Giuditta musste das Gleiche gedacht haben, denn sie scheuchte alle Lehrlinge aus dem Atelier und gab ihnen eine ausgedehnte Pause.
Die Stravaganti waren nun allein. Allerdings nicht lang. Eine gut gekleidete Frau mittleren Alters trat von der Straße her ein, ehe sie sich richtig begrüßt hatten.
Sie hatte das Aussehen einer reichen Dame, die hereingekommen war, um möglicherweise eine Büste von ihrem verstorbenen Mann in Auftrag zu geben. Begleitet wurde sie von einem großen, rothaarigen Diener. Sky hatte das vage Gefühl, sie schon einmal gesehen zu haben. Er war unglücklich über die Unterbrechung, doch Giuditta unternahm keinen Versuch, die Frau loszuwerden.
Und da trat die Frau direkt auf Georgia zu, umarmte sie und sagte: »Ich glaube kaum, dass wir dich jetzt noch als jungen Mann durchgehen lassen könnten, Georgia.«
Sky und Nicholas starrten sich verwundert an. Dann dämmerte es ihnen gleichzeitig: Das konnte nur die ehemalige Duchessa von Bellezza sein, Ariannas Mutter, die angeblich in ihrem eigenen Audienzsaal von einem Spitzel der Chimici ermordet worden war. Und Sky erinnerte sich nun auch, wo er sie gesehen hatte: in der bellezzanischen Gesandtschaft mit Arianna und Rodolfo. Georgia stellte sie einander vor. Silvia nahm Nicholas’ Hand und sah ihn forschend an.
»Wir haben etwas gemeinsam, Prinz Falco«, sagte sie mit ihrer leisen, singenden Stimme. »Man hält uns beide für tot. Ich hoffe, Eure Verkleidung ist so wirkungsvoll wie meine.«
Dann wandte sie sich an Sky: »Und du bist der neue Stravagante«, sagte sie.
»Du bist in einer Zeit großer Gefahr zu uns gestoßen.«
»Ich weiß«, sagte Sky. »Die Nucci und die Hochzeiten.«
»Und die neuerliche Bedrohung Ariannas, die vom Herzog ausgeht«, sagte Silvia
und nickte zu der Statue hin. »Ihr habt sie wunderbar getroffen, Giuditta. Als Frau am Steuer des
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