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Stadt der Engel

Stadt der Engel

Titel: Stadt der Engel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Christa Wolf
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ich könne ihr zusätzlich zu meinem Scheck – auf dem übrigens Blatt für Blatt mein Name und meine Adresse gedruckt waren – genügend ausweisähnliche Kärtchen vorlegen, die alle auf denselben Namen und ebendieselbe Adresse ausgestellt waren, womit ich auch sofort begann, nur um sie damit in einen schier unlösbaren Konflikt zu stürzen. Öfter hatte ich schon erlebt, daß die Verkäuferin in diesem Fall irgendeine höhere Instanz anrief. Daß sie ausführlich schilderte, mit was für einer seltsamen Kundin sie es hier zu tun hatte, und damit die Entscheidung für das Ja oder Nein auf die Vorgesetzten schob. Diese arme Verkäuferin aber war zugleich die Ladenbesitzerin. Wenn ich eine der anscheinend zahlreichen gefürchteten Scheckbetrügerinnen wäre, ginge es an ihren eigenen Geldbeutel. Ich sah den Kampf, den sie mit sich auszufechten hatte, sah, wie sie sich einen Ruck gab und dann den Scheckentgegennahm: You look honest! sagte sie entschlossen, und ich versicherte: Sure, I am, und bei mir ergänzte ich im stillen: Wenigstens in Gelddingen.
    Und auf dem Weg zum ms. victoria überlegte ich, daß das englische »honest« es wohl mit dem deutschen »ehrlich«, »redlich«, »aufrichtig« aufnehmen könnte, daß es zu dieser Reihe ja auch noch »upright« beisteuert oder das schöne »sincere«. Wogegen wieder »do one’s best« doch wohl unserem »sich redliche Mühe geben« nicht das Wasser reichen konnte, nicht wahr. Denn, fragte ich mich, nehmen die englisch Sprechenden dieses »ihr Bestes tun« nicht ein wenig auf die leichte Schulter, auf die unsere »redliche Mühe« ja gewiß nicht gehört, vielleicht einfach deshalb, weil unsere »Schuld«, sprachlich gesehen, schwerer zu wiegen scheint als ihr »guilt«, selbst als »blame«, so kam es mir jedenfalls vor. Und ganz zufällig mag es ja auch nicht sein, dachte ich, daß es ein deutscher Dichter war, dem als Schluß seines Menschheitsdramas mit reichlich Schuld und Schande der Vers einfiel: Wer immer strebend sich bemüht, den können wir erlösen. Und während ich stracks auf die drei Racoons zuging, die mir wie immer entgegenstarrten, verwies ich mir eine leichte Unzufriedenheit darüber, daß der Dichter keine Andeutung macht, wie denn etwa die Mühen aussehen könnten, die einen normalen Menschen, der sich nicht als edles Glied der Geisterwelt betrachten darf, in den Genuß jener »Erlösung« bringen würden, nach der es doch vielleicht auch ihn verlangt.
    Um wie vieles leichter war es doch, dachte ich, über die Verführungen einer Kindheit Rechenschaft zu geben als über Verfehlungen der späteren Jahre. Nun also denn, einmal mußte ja auch darüber geschrieben werden: Die Gefängnisanekdote. Vielleicht habe ich sie etwas zu oft erzählt, der frische Blick auf sie ist verstellt. Was ich sehe, ist ein nüchterner Büroraum im Gewerkschaftshaus Unter den Linden, da, wo heute eine große westliche Autofirma ihren Ausstellungsraum hat. Leider habe ich den Wahlhelferausweis nicht mehr, den ein Funktionäreuch Wahlhelfern aushändigte. Diesen Ausweis hast du dann ja später selbst vernichtet, weisungsgemäß. Ihr solltet die kommunistische Partei SEW in ihrem Wahlkampf in Westberlin unterstützen. Ihr seid legale Wahlhelfer, prägte er euch ein, es gebe eine Abmachung mit den Westberliner Behörden. Die Materialien, die ihr verteilen solltet, seien zum Zeichen ihrer Legalität mit einem Stempel versehen. Es verstand sich von selbst, daß ihr die Empfänger dieser Schriften möglichst in Diskussionen verwickeln und davon überzeugen solltet, die Kommunisten zu wählen. Diese Ausweise, auf denen euer Name stand, dürften auf keinen Fall in die Hände des Klassenfeindes fallen. Keiner fragte, warum denn nicht, auch du fragtest nicht. Es war Mitte der fünfziger Jahre. Unter den Linden waren immer noch Baugräben, über die ihr auf Planken in Richtung S-Bahnhof Friedrichstraße lieft. Lorchen, eine junge Genossin, war dir als Begleiterin zugeteilt.
    Ich erinnere mich an die kurze S-Bahnfahrt gen Westen, eine Richtung, die ihr sonst meiden solltet. Drei, vier Stationen. Du blättertest das Agitationsmaterial durch und fandest es entsetzlich primitiv. Aber da half nun nichts, es wäre dir nicht eingefallen, zu tun, was andere Agitatoren taten: Das Material in den nächsten Papierkorb werfen, dich ein paar Stunden am Ku’damm herumtreiben und dann zurückfahren in den Demokratischen Sektor. Dir war mulmig zumute, das weiß ich noch, aber du durftest dir

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