Stadt der Engel
Kriegsverbrecher. Da würdest du mit ihm überhaupt nicht mehr reden.
Daran hieltest du dich. Zwar warst du eigentlich harmoniesüchtig, zu Unhöflichkeit mußtest du dich zwingen, aber im Klassenkampf war sie eben unvermeidlich. Du hieltest dasSchweigen also durch, bis der junge Vorgesetzte kam, auf den ihr gewartet hattet, und eine Polizistin, die zuerst Lorchen, dann dich ins Nebenzimmer rief.
Du solltest dich ausziehn, zur Leibesvisitation. Hier? sagtest du. Ohne Vorhänge an den Fenstern? Ich denke nicht daran.
Die Polizistin öffnete eine Schranktür, hinter der solltest du dich dann eben ausziehen. Sie fand den Wahlhelferausweis, den du in einer Socke versteckt hattest, du entrissest ihn ihr, sie wollte ihn sich zurückholen, kratzte dich dabei an der Hand. So geht man bei Ihnen mit den Menschen um! fauchtest du sie an und begannst, vor ihren Augen das Papier in kleine Stücke zu zerreißen. So machte man das, du wußtest es aus Büchern und Filmen, du hattest nicht vergessen, was man euch im Gewerkschaftshaus eingeschärft hatte. Du vernichtetest also das Papier, mit dem du dich hättest legitimieren können. Die Polizistin, nun sehr wütend, schrie dich an: Sind die bei Ihnen alle so?, und du, gelassen, innerlich zitternd, erwidertest: Nicht alle, aber viele.
Schöne druckreife Dialoge. Ich kann nicht zählen, wie oft diese violette Karte der Sowjetunion später vor meinem inneren Auge erschien, aber vorerst kamst du, mit der Grünen Minna befördert und von Lorchen getrennt, die unter das Jugendstrafrecht fiel, für eine Nacht in eine Viererzelle der Untersuchungshaftanstalt Moabit – noch heute, wenn ich an der langen stacheldrahtbewehrten Mauer vorbeifahre, grüße ich mit den Augen hinüber. Natürlich stürzten die drei Frauen, die schon in der Zelle waren, sich auf dich: Warum sind Sie hier? – Flugblätter, sagtest du, da winkten sie beinahe angewidert ab: Ach, bloß politisch! Sie hatten ernstere Probleme.
Die eine tigerte in der Zelle herum und stieß alle Minute einen einzigen Satz aus: Wejen eene Zahnbürste! Auf Nachfrage erweiterte sie diesen Satz zu einer langen blumigen Erzählung, die von einem Abendspaziergang mit ihrem »Gatten« über den Kauf einer Seife in einer Drogerie, wo der hinterhältige Drogist leichtfertigerweise ein ganzes Glas mit Zahnbürsten inReichweite der Kunden unbeaufsichtigt hatte stehen lassen, zur Mitnahme einer einzigen Zahnbürste führte, nur, damit der Drogist einen Vorwand hatte, ihnen einen Streifenwagen hinterherzuschicken. Anstiftung zum Diebstahl ist Ihnen das, Sie! –
Na gut. Aber aus dem Diebstahl einer einzigen Zahnbürste würde auch die Klassenjustiz kein Kardinalverbrechen konstruieren können, suchtest du die Frau zu beschwichtigen. Da baute sie sich vor dir auf und stellte die unheilschwangere Frage: Kennen Sie die Männer? Eine schnelle Antwort hattest du nicht parat, genaugenommen kanntest du nur wenige Männer, aber um die Art Männerkenntnis ging es ja nicht. Es ging darum, ob du für einen Mann die Hand ins Feuer legen würdest, wenn »die« ihn erst mal in die Mangel nahmen. Wer: die. – Na die. Wenn die ihm so richtig auf den Zahn fühlen, ob er dann singen wird. – Keine Ahnung. Aber worüber sollte er denn … – Ach! Verächtliche Handbewegung. Wenn die ihm mit nem Hausdurchsuchungsbefehl kommen. Wenn die ihn so richtig schön in die Enge treiben, wie das ihre Art ist. Wenn er dann die Nerven verliert und in unserer Küche die Diele hochnimmt … – Ja, was dann? Die Frau war verblüfft, wie naiv man sein konnte. Na dann finden die da eben was, Sie. Sogar ne ganze Menge finden die da vielleicht. Und dann haben die wieder ihren beliebten Tatbestand: Diebstahl und Hehlerei in Tateinheit nennen die das, Sie. Die übertreiben ja zu gerne, wenn sie unsereins eins auswischen können. Und dann gucken sie natürlich in unsere Akten. Na und denn …
Die Andeutung verstandest sogar du. Auch Männer können schweigen, versichertest du der Frau, ohne einen einzigen Beweis dafür zu kennen. Jedenfalls wünschtest du es ihr von Herzen, wie du der anderen jungen Hübschen wünschtest, daß sie das Verhör, das ihr am nächsten Tag bevorstand, überstehen möge, ohne daß »die« ihr ein Geständnis abringen konnten. Denn sogar dir blutigen Anfängerin war klar, daß sie, die in einem berühmten eleganten Hotel Zimmermädchen war, den Schmuck des reichen weiblichen Gastes gestohlen hatte, umden es bei der Anklage ging. Immer uff die Kleenen!
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