Stadt der Engel
rief sie aus, und da konntest du ihr ja nur von ganzer Seele zustimmen. Seit Wochen wurde sie schon verhört, sie begann sich zu verhaspeln. Das Versteck würde niemand finden, gab sie plötzlich von sich, nicht einmal ihr Freund. Aber sie wollte wenigstens dann, wenn sie aus dem Gefängnis kam, endlich auch mal ein gutes Leben haben. Das habe sie sich doch verdient. Darin bestärktest du sie rückhaltlos. Sie solle weiter eisern schweigen, suggeriertest du ihr, niemand könne ihr doch das Geringste beweisen. Goldrichtig! rief sie aus, und du: Sie solle immer an das gute Leben denken, das auch ihr zustände, nicht immer bloß den Reichen. – Goldrichtig! – Aber du sahst, die Frau war fertig, ihr flatterten die Hände, morgen haben sie sie, dachtest du bekümmert, morgen verquatscht sie sich. Sie haben gut reden mit Ihren Flugblättern, sagte sie noch, fast neidisch. Ihnen kann ja nichts passieren.
So war es. Aber war es wirklich so? Du bekamst eine Einzelzelle in der Untersuchungshaftanstalt Moabit und wurdest nun selbst eine Woche lang jeden Tag verhört. Wie es in einer Zelle aussieht, weiß heutzutage jeder: Eine Pritsche, die tagsüber hochgeklappt wurde, ein Holzhocker, ein schmaler Tisch, ein Wandschränkchen mit dem dürftigen Gefängnisgeschirr, Seife, Kamm, Zahnputzbecher. Ein Waschbecken. Das Klo hinter einer halben Trennwand.
Du bekamst Besuch von einer korrekten Sozialarbeiterin, die außer den notwendigsten Angaben kein Wort von dir zu hören kriegte. Religion? fragte sie. Keine, sagtest du. Worauf sie auf das schmale Kärtchen, das sie dann in die dafür vorgesehene Leiste des Wandschränkchens schob, ein Wort schrieb: DISSIDENT. So lernte ich dieses Wort kennen, das viel später mit einer ganz anderen Bedeutung in meinem Leben wieder auftauchen sollte und das den Pfarrer, der dich auch besuchen kam, sehr betrübte. Er ging bald. Da du die Bücher, die du dir gewünscht hattest, nicht bekamst – eine russische Grammatik und das »Kapital« von Marx –, schmökertest du gelangweilt ineinem dicken Buch mit uninspirierter Prosa: Nacherzählungen der Shakespeare-Dramen, und dachtest dir Mystifikationen aus, mit denen du deinen Verhörer, einen uneifrigen, häufig kopfschüttelnden mittelalten Mann, über deine Familienverhältnisse in die Irre zu führen suchtest. Dabei wollte er nur wissen, welche Institution dich »in Wirklichkeit« geschickt habe, was ja kein Geheimnis war, was er aber von dir natürlich nicht erfuhr. Er versuchte zu erfragen, ob du noch andere Aufträge hattest als diese unglückselige Wahlagitation, und welche Verbindung du zu Westberliner Mitgliedern der Kommunistischen Partei hattest – alles Fragen, auf die du stur die Aussage verweigertest, obwohl du sie leicht negativ hättest beantworten können.
Er kam nicht weiter mit dir, du aber, die du ganz unnötigerweise behauptet hattest, dein Vater sei tot, während er doch gerade bei bester Gesundheit mit deiner Mutter bei deiner Familie in Karlshorst zu Besuch war, du mußtest dir die abenteuerlichsten Codes ausdenken, mit denen du deine ahnungslose Familie von dieser Aussage unterrichten und sie daran hindern mußtest, dir etwa bei einem der Besuche, die erlaubt waren, in Gegenwart des Vernehmers zu widersprechen. Du mußtest also mit ansehen, wie deine Mutter angesichts deiner Geheimbotschaften, die du in deinen knappen Sätzen unterzubringen suchtest und die sie natürlich nicht entschlüsseln konnte, an deinem Verstand zu zweifeln begann, immer ratloser wurde und am Ende, zu deinem Ingrimm, deinem Verhörer dein Verhalten als jugendlichen Leichtsinn darstellen wollte.
Im übrigen konntest du dir nicht verhehlen, daß dir die Haft nicht bekam, daß du keineswegs so gelassen warst, wie du dich stelltest, daß dein Magen zugeschnürt war und du von der Gefängniskost kaum einen Bissen schlucken konntest. Fatalerweise warst du aufgeregt, nervös, konntest kaum schlafen. Das Wort Angst vermiedest du sorgfältig. Du bekamst von empörten Kollegen und Genossen Konfektpackungen und Obst in die Zelle geschickt, Solidaritätsaktionen liefen »draußen« an, ein anklagender Artikel erschien in der Zeitung.
Aus der Literatur wußtest du, daß man als Häftling konspirative Kontakte mit den anderen Häftlingen aufnehmen mußte. Du schobst also den Hocker unter das halb heruntergeklappte Gitterfenster, zogst dich an den Stäben hoch und fragtest laut flüsternd nach rechts und nach links, ob jemand dich hören könne. Von links kam
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