Stadt der Finsternis - Andrews, I: Stadt der Finsternis
das die Magie unterdrückt.«
Jim schaltete sich ein: »Irgendetwas, das einen M-Scanner dazu bringt, sie als menschlich wahrzunehmen.«
Dali kickte sich die Schuhe von den Füßen und begann sich das Hemd auszuziehen. »Ich muss jetzt die Gestalt wandeln. Ich bin in meiner Tiergestalt viel empfindlicher für Magie, und mein Geruchssinn ist dann auch viel besser.«
Ich blickte zu Boden. Bei den Gestaltwandlern gab es, grob gesagt, zwei Lager: Die einen waren die Zurückhaltung in Person, die anderen fanden überhaupt nichts dabei, sich einer Laune folgend mitten auf einer belebten Straße auszuziehen. Dali gehörte anscheinend zur zweiten Fraktion.
Das Grummeln und Grollen einer Großkatze hallte durch den Raum, eine Abfolge von Geräuschen, die mir eine Gänsehaut über den Rücken jagte. Ich hob den Blick.
Mitten im Zimmer stand ein weißer Tiger. Wie aus frischem Schnee modelliert, sah er mich aus eisblauen Augen an. Lange, kohlschwarze Streifen zogen sich über seine riesenhafte Gestalt. Dieses Wesen war mehr als nur eine große Katze, mehr als nur ein Gestaltwandler in seiner Tiergestalt – es war majestätisch. Mir stockte der Atem.
Und dann nieste die Tigerin. Und nieste blinzelnd noch einmal. Und als sie nun wieder den Kopf hob, fiel mir auf, dass nur eins der eisblauen Augen mich ansah. Das andere blickte zur Seite. Diese Tigerin schielte tatsächlich wie eine Siamkatze.
Sie hob eine Pfote, beäugte sie mit fragendem Blick, setzte sie wieder ab und knurrte tief in der Kehle, einen verdatterten Ausdruck auf dem riesigen Gesicht.
»Ja, das sind deine Pfoten«, sagte Jim geduldig.
Beim Klang seiner Stimme wich die Tigerin zurück, stolperte dabei über den Leichnam des Vierarmigen und ließ sich schließlich auf äußerst unwürdige Weise darauf nieder.
»Du sitzt auf den Beweismitteln«, bemerkte Jim.
Die Tigerin sprang auf und wirbelte herum, wobei sie mit ihrem Hintern beinahe mich umgestoßen hätte. Sie fauchte.
»Ja, es sind Tote hier im Raum. Leg dich hin, Dali, entspann dich. Es wird dir schon alles wieder einfallen.«
Die Tigerin ließ sich auf dem Boden nieder und spähte argwöhnisch zu den Leichen hinüber.
»Sie leidet nach dem Gestaltwandel immer unter einem Verlust des Kurzzeitgedächtnisses«, flüsterte Jim. »Das legt sich nach einer Minute wieder. Das Schielen verschwindet dann auch. Das kriegen manche Katzen, wenn sie unter Stress stehen.«
»Wird sie aggressiv?« Das Letzte, was ich gebrauchen konnte, war, mir einen Anschiss dafür einzuhandeln, dass ich bei der Überwältigung einer wütenden, schielenden Wertigerin, die unter zeitweiligem Gedächtnisschwund litt, zu übertriebener Gewaltanwendung gegriffen hatte.
Jim guckte sehr seltsam, was bei seiner habituellen grimmigen Miene so selten vorkam, dass ich einen Augenblick brauchte, bis ich darauf kam, dass ihm etwas peinlich war. »Nein, sie kriegt das Kotzen, wenn sie Blut oder rohes Fleisch sieht.«
»Wie bitte?«
»Sie beißt oder kratzt keinen, sonst müsste sie sofort losreihern. Sie ist Vegetarierin.«
Oh, Mann. »Aber in ihrer Tiergestalt … «
Jim schüttelte den Kopf. »Sie frisst Gras. Frag lieber nicht.«
Nun erhob sich Dali wieder und beschnupperte den Leichnam des Vierarmigen. Sie begann an den Füßen, fuhr mit ihrer Katzenschnauze nur Millimeter über seiner Haut dahin. Die dunkle Nase beschnupperte die langen Zehen des linken Fußes, die mit scharfen Krallen besetzt waren, und arbeitete sich dann weiter aufwärts vor, am Schienbein entlang zum Knie. Dort angelangt, hielt Dali inne, leckte ein wenig an der Kniescheibe und schnupperte dann weiter am Oberschenkel hinauf. Am Schritt hielt sie erneut inne, wechselte auf die andere Seite und schnupperte nun am rechten Bein abwärts.
Sie brauchte geschlagene fünf Minuten, bis sie den Leichnam komplett abgeschnuppert hatte.
»Und? Irgendwas?«, fragte ich.
Dali schüttelte den prachtvollen Kopf. Mist, verdammter. Wir waren keinen Schritt weitergekommen, und Derek lag immer noch im Keller in einem Becken voller grüner Flüssigkeit und starb.
»Also gut«, sagte Jim. »Wechsele wieder in deine Menschengestalt. Mir ist noch was eingefallen, das ich dich fragen möchte.«
Die Tigerin nickte. Ihr weißes Fell bebte und dehnte sich, machte aber keine Anstalten zu verschwinden.
»Dali?«, sagte Jim in ganz ruhigem, bedächtigem Ton.
Das weiße Fell war immer noch das eines Tigers. Die eisblauen Augen starrten mich an, doch nun lag ein panischer Ausdruck
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