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Stadt der Finsternis - Andrews, I: Stadt der Finsternis

Stadt der Finsternis - Andrews, I: Stadt der Finsternis

Titel: Stadt der Finsternis - Andrews, I: Stadt der Finsternis Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ilona Andrews
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einen Trank, der ihn zum Weisesten der Weisen machen sollte. Doch ein kleiner Junge, ein Diener, rührte den Trank um und kostete versehentlich davon, und so wirkte der Zauber der Weisheit stattdessen bei ihm. Er floh, und Ceridwen verfolgte ihn. Schließlich verwandelte er sich, um sich zu verstecken, in ein Getreidekorn, doch Ceridwen verwandelte sich in eine Henne und pickte das Korn auf. Anschließend gebar sie Taliesin, den größten Dichter, Barden und Druiden aller Zeiten.«
    Andrea runzelte die Stirn. »Ja, ich verstehe, dass der Junge dank des Kessels wiedergeboren wurde. Na und?«
    »Der Name des hässlichen Sohns der Göttin lautete: Morfran. Nach dem walisischen mawr , ›groß‹, und bran , ›Krähe‹. Die Große Krähe.«
    »Das ist der Typ?«, fragte Raphael. »Der Typ, der die Formorier befehligt?«
    »Sieht ganz so aus. Und er ist auch bloß eine normale Krähe, so wie Morrigan. Sehr ähnliche Namen plus sehr ungebildete Hexen gleic h … «
    »… ein Desaster«, schloss Raphael.
    Die Schwestern der Krähe. Das war ein komplett bescheuerter Name für einen Hexenzirkel.
    Andrea schüttelte den Kopf. »So dumm können diese Schwestern doch gar nicht gewesen sein. Mit Ritualen rumpfuschen, ja, okay – aber so kompletten Bockmist bauen, dass sie versehentlich die falsche Gottheit anbeten? Morfran und Morrigan haben ja nicht mal das gleiche Geschlecht.«
    »Vielleicht fingen sie damit an, Morrigan zu huldigen, und pfuschten dann gerade so weit herum, dass sich Morfran eine Lücke bot. Vielleicht schloss Morfran mit Esmeralda ein Abkommen. Sie wollte Wissen, und er bot es ihr. Taliesin, Morfrans Halbbruder, diente nach Merlin als Druide unter König Artus. Daraus ließe sich schließen, dass Morfran ebenfalls ein Druide war. Wer sonst hätte Esmeralda in die druidischen Rituale einweisen sollen?«
    Andrea beugte sich vor. »Okay. Aber wozu? Wozu die ganze Mühe?«
    »Ich weiß es nicht. Wenn du eine Göttin wärst, was würdest du dann wollen?«
    Ich schenkte erst Tante B und dann mir Tee nach.
    »Leben«, sagte Raphael.
    »Wie meinen?«
    »Ich würde Leben wollen. Die tun doch nichts anderes, als von dort, wo auch immer sie sind, immer nur auf uns herunterzublicken. Aber sie nehmen niemals an irgendwas teil. Sie kriegen nichts von der Action mit.«
    »So funktioniert das nicht«, wandte Andrea ein. »Die Nachwendetheorie geht davon aus, dass sich eine wahre Gottheit nicht in unserer Welt manifestieren könnte.«
    »Man sieht doch ständig Berichte über Gottheiten«, sagte Raphael. Jetzt knetete er wieder ihre Schultern.
    Andrea schüttelte den Kopf. »Das sind keine richtigen Götter. Das sind Konstrukte der Beschwörer, Strohmänner der Fantasie. Im Grunde ist es Magie, die in eine bestimmte Form gegossen wurde. Diese Wesen haben keine Ahnung, wer sie sind.«
    Es fiel mir schwer zu akzeptieren, dass es so etwas wie wahre Gottheiten tatsächlich gab. Ich kannte die Theorie natürlich nur zu gut: Die Magie hatte die Fähigkeit, dem Gedanken und dem Willen Substanz zu verleihen. Glaube war beides. Wille und Gedanke. Und das Gebet war der Mechanismus, der die beiden verschmolz und als Katalysator der Magie Ausdruck verlieh, ganz so wie eine ausgesprochene Beschwörung dem Willen des Beschwörers Ausdruck verlieh. Im praktischen Sinne bedeutete das: Wenn genug Menschen ein ganz bestimmtes, gemeinsames Bild von einer Gottheit hatten und es ausdauernd anbeteten, gehorchte die Magie möglicherweise und ließ diese Gottheit körperlich entstehen. Der Gott der Christen oder die Göttin des Wicca-Kults würden wahrscheinlich nie stoffliche Gestalt annehmen, da die Glaubensvorstellungen ihrer Anhänger zu unterschiedlich und die Machtbefugnisse der Gottheiten zu allumfassend waren. Aber ganz spezifische Götter wie etwa Thor oder Pan konnten theoretisch lebendig werden.
    Ich hielt das Wörtchen »theoretisch« wie ein Schild zwischen mich und Morrigan und Morfran. Nur wenig ist beängstigender als die Vorstellung eines zum Leben erwachenden Gottes. Es gibt zwischen einem Gläubigen und seinem Gott ja keine Privatsphäre. Es gibt keine Geheimnisse, keine beschönigten Niederlagen. Es gibt nur Versprechen, gehaltene wie gebrochene, und Sünden, begangene wie imaginierte, und die reinen Emotionen: Liebe, Angst, Ehrfurcht. Wer von uns wäre schon bereit, sein Leben in die Waagschale zu werfen? Was wäre, wenn wir als zu leicht befunden würden?
    Andreas Stimme drang in meine Gedanken. »Erstens stellen sich die

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