Stadt der Lügen
Sechsundzwanzigjährige, auf die Artie ausgesprochen stolz war. Sie hatte den größten Teil ihres Lebens bei ihnen gewohnt und stand Artie viel näher als seine eigene Tochter. Zwar konnte man sie nicht unbedingt übermäßig hübsch nennen, aber das machte sie mit überbordender Energie und Selbstvertrauen mehr als wett. Artie hatte ihr einen Job in einer kleinen Agentur besorgt, wo sie bereits als unersetzlich galt. Er würde sich nicht wundern, wenn sie eines Tages großen Einfluss im Geschäft bekäme.
Und so wurde ein Wochenende zu Hause beschlossen; vielleicht würde man am Samstag mit Kelly und ihrem Freund essen gehen. Auf keinen Fall aber würden sie über das Drehbuch sprechen.
Becky war so überrascht, dass sie von ihrem Schreibtisch aufstand und den Kopf um die Ecke in Arties Büro streckte. Mit großen Augen brachte sie es gerade noch fertig, einen Satz hervorzustoßen. »Am Telefon ist das Büro von Ned Ross.«
»Nun, dann stellen Sie um Himmels willen durch«, schnauzte er und widerstand dem dringenden Wunsch, etwas nach ihr zu werfen.
»Aber sicher.« Sie flitzte zu ihrem Schreibtisch und Sekunden später vernahm Artie die vertraute, hohe, schnell sprechende Stimme in seinem Hörer.
»Artie, alter Kumpel, du hast es also getan. Du hast es wirklich getan, verdammt noch mal.«
»Was habe ich getan, Ned?«, fragte Artie und versuchte, das von den Knöcheln her aufsteigende, prickelnde Erregungsgefühl zu unterdrücken. »Stehe ich vielleicht auf dem falschen Parkplatz? Habe ich die Scheinwerfer brennen lassen? Was genau?«
»Komm schon, du Schweinehund, du weißt genau, wovon ich rede. Seitensprünge! Ein sensationell gutes Drehbuch! Die beste Idee für eine Komödie, die mir in den letzten Jahren unter die Augen gekommen ist. Genau das, was das Studio im Augenblick braucht. Wir werden das Ding drehen.«
Artie kämpfte nun nicht mehr gegen das prickelnde Gefühl an, sondern ließ es wie ein warmes Glühen durch seinen Körper strömen. »Schön, dass es dir gefällt, Ned«, sagte er mit fester Stimme. »Ich dachte es mir zwar schon, aber ich bin froh, dass ich Recht behalten habe.«
»Wir beide müssen uns unbedingt unterhalten, alter Freund. Hast du heute Mittag schon was vor? Hättest du nicht Lust, rüberzukommen und mit mir zu essen?«
»Heute?« Artie traute seinen Ohren nicht. Die Termine zum Mittagessen waren bei den Studiochefs Wochen im Voraus ausgebucht. Solche Verabredungen wurden nur im äußersten Notfall abgesagt – allenfalls für große Stars in Gefühlsnöten, eine Hand voll wichtiger Agenten oder schwerreicher Produzenten, die bis zum Nachmittag eine Entscheidung brauchten; vielleicht noch, wenn das Studio verkauft wurde.
»Natürlich heute. Was dachtest du denn? Glaubst du ernsthaft, ich würde dich mit diesem Skript woanders hingehen lassen? Wenn darüber auch nur das Geringste an die Öffentlichkeit dringt, rennt dir die ganze Stadt die Bude ein.«
Artie fragte sich, wer an seiner Stelle ausgeladen worden war. Jedenfalls würde im Tagesablauf irgendeines Menschen ein riesiges Loch klaffen. Vielleicht sogar in seiner ganzen Woche oder seinem ganzen Jahr. Zum Teufel damit – jetzt war eben ein anderer dran. Gott allein wusste, wie oft Artie in den letzten paar Jahren dran gewesen war. Die Dinge hatten sich verändert. In diesem Geschäft veränderten sich die Dinge schnell. Man wusste es nie im Voraus. Er sagte Ned Ross zu, um Viertel vor eins in seinem Büro zu sein. Dann rief er Molly an.
Sie konnte die Tränen in ihrer Stimme kaum verbergen. »Ach Artie, ich freue mich so für dich. Du hast es verdient. Ich bin überglücklich.«
»Nicht weinen, Liebes. Stell uns eine Flasche Champagner kalt, und ich reserviere uns einen Tisch im Spago. Heute Abend feiern wir richtig altmodisch, nur wir zwei. Ich muss jetzt gehen. Ich liebe dich.«
Der Weg zu den von Ned Ross geleiteten Studios betrug etwa zwanzig Minuten und führte quer durch die Stadt. Das Gelände, auf dem Arties Büro untergebracht war, diente als Ausweichstandort für Leute, die im Hauptgebäude keinen Platz mehr fanden. Der Tag war herrlich klar. Artie fühlte sich geradezu euphorisch. Am beeindruckenden Eingangstor war eine Durchfahrgenehmigung für ihn hinterlegt worden. Zehn Minuten später saß er in einem dick gepolsterten Sessel im weitläufigen, ganz in Weiß und Creme gehaltenen Büro des Präsidenten.
Ned Ross war ein eher kleiner Mann mit einem rundlichen Gesicht und sich lichtendem,
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