Stadt der Lügen
marschierten, als wären sie echt; sich wie Marionetten ruckartig bewegende und durch schwarze Linien begrenzte Kreaturen gehörten längst der Vergangenheit an. Doch immer noch mussten Charaktere entwickelt und ihre Handlungen mit einem Spannungsbogen versehen werden, wenn sich das Publikum dafür interessieren sollte, was mit ihnen passierte. Die Regeln des Geschichtenerzählens würden nie aus der Mode kommen. Sie waren zeitlos. Der Rest waren Äußerlichkeiten.
Aber warum hatte er nicht mehr Erfolg? Er seufzte. Langsam fuhr er zurück in sein Büro in den Warner Studios von Hollywood an der Kreuzung Santa Monica und Formosa. Eigentlich hatte er keinen Grund, sich zu beklagen, denn in vieler Hinsicht war er ein glücklicher Mensch. Molly schien es nichts auszumachen, dass andere Frauen mehr Haute-Couture-Kleider besaßen und zum Mittagessen mit ihren Freundinnen nicht in einem fünf Jahre alten BMW vorfahren mussten. Das Haus war bezahlt und einiges wert, obwohl die Immobilienpreise in der letzten Zeit in den Keller gerutscht waren. Seine Kinder aus erster Ehe – er war seit mehr als zwanzig Jahren geschieden – waren verheiratet und führten ihr eigenes Leben. Jane war Geigerin beim Chicago Symphony Orchestra, Steven arbeitete als Arzt in Boston. Beide hatten Artie nie verziehen, dass er sich in Molly verliebt und ihre Mutter verlassen hatte. Glücklicherweise hatte seine erste Frau später einen New Yorker Banker geheiratet, sodass es auf beiden Seiten nie materielle Probleme gegeben hatte. Arties Kinder hatten nie Interesse daran gezeigt, mit ihm in Kontakt zu bleiben, obwohl er ihnen zu Weihnachten und den Geburtstagen immer großzügige Geschenke machte. Mit einer vorgedruckten Karte hatte man ihn informiert, dass er Großvater geworden war (Stevens Frau hatte vor achtzehn Monaten eine Tochter zur Welt gebracht), aber er war weder zur Familienfeier eingeladen worden, noch hatte er je ein Bild des Babys gesehen. Aber das trug er ihnen nicht nach. Denn obwohl Artie Fleischman seine Kultiviertheit deutlich zur Schau stellte, gehörte er zu den einfachen Leuten, die sich nie aufdrängen, wenn sie nicht erwünscht sind.
Er fuhr vor dem Studio vor und grüßte Joe mit einem Nicken. Joe gehörte zur Security, war vorgerückten Alters und kam immer mittags zum Dienst. Artie parkte den flaschengrünen Jaguar auf dem mit seinem Namen gekennzeichneten Parkplatz, schloss den Wagen ab und ging zu seinem schäbigen Büro im Erdgeschoss, das Bestandteil seines Vertrages mit dem Studio war. Sie zahlten ihm das Büro und die laufenden Kosten – hauptsächlich eine Sekretärin und die Telefonrechnungen – dafür, dass sie als Erste jedes seiner Projekte in Augenschein nehmen durften. Die Übereinkunft lief demnächst aus, und Artie hatte das Gefühl, dass sie nicht verlängert werden würde. In den vergangenen beiden Jahren hatten sie sich für nichts, das er ihnen vorgelegt hatte, interessiert. Genau genommen hatte sich niemand für eines seiner Projekte erwärmt; noch nicht einmal das Fernsehen oder eine der kleinen Kabelgesellschaften.
Er hatte allerdings noch einen Trumpf im Ärmel. Es handelte sich um eine Komödie namens Seitensprünge, die er im letzten halben Jahr zusammen mit einem jungen Autor entwickelt hatte. Die Idee stammte von Artie, aber der Autor hatte sie zur wahren Vollendung gebracht – vor allem, wenn man in Betracht zog, dass Artie ihm nur das von der Autorenvereinigung geforderte Mindestgehalt zahlte. Doch Artie zahlte das Gehalt aus der eigenen Tasche, weil weder sein eigenes noch irgendein anderes Studio Interesse an der Idee gezeigt hatten. Er war überzeugt von dem Projekt und hatte sich entschlossen, seinem Instinkt zu vertrauen und sein Geld in den Film zu investieren. Außerdem konnte er es von der Steuer absetzen. Inzwischen war das Drehbuch fertig. Er wollte es dem Studio vorlegen und versuchen, es über das Wochenende auf jedermanns Lektüreliste zu setzen.
Arties Sekretärin Becky blickte uninteressiert von ihrem Taschenbuch auf und reichte ihm ein Blatt, auf dem die Anrufe aufgelistet waren; es waren nur zwei eingegangen während der vier Stunden, in denen er nicht im Büro gewesen war. Er murmelte ein Dankeschön und verschwand in seinem Büro. Kurze Zeit später kam seine Stimme über die Gegensprechanlage und bat Becky, ihm eine Verbindung zu Ned Ross herzustellen.
Ihre Mundwinkel verzogen sich in unwillkürlicher Verachtung. Wie konnte Artie Fleischman glauben, der Präsident
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