Stadt der Lügen
Marathon vorsprechen lassen. Können Sie sich an den Film erinnern?«
»Aber natürlich«, nickte Artie stirnrunzelnd. War es möglich, dass Greg Warren bei ihm vorgesprochen hatte und er sich nicht daran erinnerte? Nein, Warren war zu alt. Außerdem war er vor zehn Jahren zwar noch kein ganz großer Star, aber immerhin schon bekannt gewesen.
»Eines dieser Kinder fing gerade erst mit der Filmerei an«, fuhr Warren fort. »Der Kleine wollte unbedingt Schauspieler werden. Sein Wunsch war so groß, dass er lieber gestorben wäre, als die Rolle nicht zu bekommen. Wissen Sie, wie es ist, Artie, etwas so heftig zu wollen? Ich glaube, Sie wissen es, Artie, denn Sie haben sich in diesen Jungen hineingedacht. Er bekam die Rolle nicht, denn er wäre damit völlig überfordert gewesen. Er hatte weder Technik noch Erfahrung – nichts. Er hatte noch nicht einmal einen richtigen Agenten, aber Sie haben gesagt, Sie würden ihm helfen, einen zu finden. Und Sie haben Ihr Versprechen gehalten. Der Junge bekam seinen Agenten.«
Artie dachte fieberhaft nach. Es war durchaus möglich, dass er getan hatte, was ihm da erzählt wurde, aber er erinnerte sich nicht. »Und was ist dann passiert?«, fragte er. Es war das Einzige, was ihm in den Sinn kam.
Der Star zuckte die Schultern. »Er bekam ein paar Rollen und drehte ein bisschen fürs Fernsehen. Er arbeitete hart, wirklich hart. Gab alles, was er hatte. Aber er hat es nicht geschafft. Es fehlte ihm an Substanz, wenn Sie wissen, was ich meine.«
»Wie heißt er?«, wollte Artie wissen. Er war jetzt neugieriger denn je. »Ist er noch im Geschäft?«
»In gewisser Weise schon«, sagte der Schauspieler, sah aus dem Fenster in den wolkenverhangenen Himmel und nahm noch einen Schluck aus seiner Coladose. »Sein Name ist Mickey Wallace. Er ist mein Fahrer.«
Artie machte sich Sorgen um Molly, die anscheinend jeden Abend zwei Schlaftabletten einnahm, ehe sie zu Bett ging. »Warum tust du das, Liebes?«, fragte er. »Hast du Schlafprobleme? Du wirst doch nicht krank werden.«
Molly hatte nicht gemerkt, dass ihm ihre Angewohnheit aufgefallen war und reagierte abwehrend. Er solle um Himmels willen aufhören, sich den Kopf über andere Leute zu zerbrechen und sich um seinen eigenen Kram kümmern. Wenn sie nicht schlafen könnte, wäre das schließlich ihr Problem. Und außerdem, wie sollte sie wohl je richtig abschalten, wenn alle um sie herum ständig so aufgeregt waren? Es grenzte an ein Wunder, sagte sie, dass er in der Lage war, Schlaf zu finden. Aber es stimmte: Er schlief wie ein Baby. Er war wirklich ein sehr glücklicher Mann.
Eines Morgens, etwa eine Woche später, wollte Artie gerade das Haus verlassen, um sich mit Caspar Grenville zu treffen. Zwar hatte sich Caspar offiziell zur Ruhe gesetzt, aber Artie konnte ihn überzeugen, den Job des Produktionsdesigners zu übernehmen. Der Designer war mindestens ebenso wichtig für die Wirkung eines Films wie der Regisseur, wenn nicht sogar mehr. Caspar hatte drei Oscars gewonnen, und wenn er nicht vor kurzem erst angekündigt hätte, sich aus dem Filmgeschäft zurückziehen zu wollen, hätte Artie sicher größere Probleme gehabt, ihn zu verpflichten – selbst für einen so wichtigen Film. Aber Caspar hatte Zeit, und es handelte sich schließlich nicht um ein umfangreiches Leinwandepos, das monumentaler Ausstattung oder extravaganter Außendrehorte bedurfte. Es ging allein darum, alles richtig zu machen und sicherzustellen, dass der Film perfekt wurde. Caspar erklärte Artie, dass er Seitensprünge als eleganten, befriedigenden Schwanengesang auf seine lange Karriere betrachte.
Artie stieg gerade in seinen Jaguar – er hatte schon das Modell ausgesucht, gegen das er ihn eintauschen würde, wenn das dicke Geld kam – als er einen Wagen mit hoher Geschwindigkeit den Hügel hinaufröhren hörte. Er wartete, denn er wollte wissen, wer da um die Kurven heizte wie ein Wahnsinniger im Showdown eines B-Movies – und war verblüfft. Er kannte den mitternachtsblauen Mercedes, der in seiner Einfahrt mit quietschenden Reifen zum Stehen kam. Arties Hausarzt Jack Leonard stieg aus.
Normalerweise sah Jack Leonard ausgesprochen elegant aus. Er war groß und schlank, hatte kurz geschnittenes, ergrauendes Haar, und sein Gesichtsausdruck erinnerte an den eines zwar freundlichen, aber hochnäsigen preisgekrönten Afghanen. Doch an diesem Morgen stolperte er über seine Füße und sah so erschrocken aus, als hätte er gerade bemerkt, dass er
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