Stadt der Lügen
Geschäft so ist. Ich möchte, dass du es von mir als Erstem hörst.«
»Schieß los, Kumpel.«
Und Artie schoss – er begann mit dem Augenblick, in dem Jack Leonard mit quietschenden Reifen bei ihm vorgefahren war und endete an der Stelle, wo Arties Bluttest für hundert Prozent in Ordnung erklärt wurde.
Als er fertig war, schwieg Ned Ross sehr lang. Artie ließ ihn in Ruhe. Es war eine ordentliche Portion, die er da zu schlucken hatte; niemand wusste das besser als Artie.
Irgendwann kam ein merkwürdiges Geräusch aus der Leitung. Ein erstickter Laut, als ob jemand bei Ned die Hand über den Hörer hielt. Es klang, als hätte er etwas gesagt, obwohl es schlecht zu verstehen war. Es waren nur zwei Silben, und sie hörten sich an wie »Scheiße!«. Doch Artie war sich nicht ganz sicher.
»Entschuldige Ned, aber ich habe dich nicht verstanden.«
Ein weiteres merkwürdiges Geräusch erfolgte, doch dieses Mal war es eine Art Gurgeln in Neds Kehle – keine Worte.
»Alles in Ordnung, Ned?«
Allmählich entstanden Worte aus dem Gurgeln. »Hör zu, ich kann jetzt nicht mit dir darüber reden. Ich rufe dich später an.« Und dann legte Ned auf.
Artie starrte den Hörer in seiner Hand an, ehe er auflegte. Er dachte über das Gespräch nach und versuchte, einen Sinn hinter dem abrupten Ende zu finden. Vielleicht war Ned Ross einer jener Männer, die es schlicht nicht ertrugen, wenn man über Krankheiten sprach. Vielleicht fürchtete er auch, dass Artie nur angerufen hatte, um einem Gerücht zuvorzukommen – dem Gerücht, dass Artie krank war und sich nicht um das Großprojekt des Studios kümmern konnte.
Er rief ein zweites Mal bei Caspar Grenville an, aber dessen Frau erklärte, er sei immer noch nicht zurück. Erneut probierte er es zu Hause, hörte aber nur seine eigene Stimme auf dem Anrufbeantworter. Allmählich machte er sich Sorgen um Molly. Er musste sie unbedingt finden und ihr mitteilen, dass er völlig in Ordnung war. Er wählte Kellys Nummer und erfuhr, dass sie nicht mehr im Büro war. Er rief Lars Hanssen an, doch ein Assistent sagte, dass er geschäftlich unterwegs war. Auf keinen Fall konnte es sich um einen Film handeln, denn Lars hatte für Seitensprünge fest zugesagt. Gerade wollte er es bei ihm zu Hause am Mulholland Drive probieren, als Becky einen Anruf seines Anwalts Joe Cross ankündigte. Joes Stimme klang düster.
»Ich habe gerade mit Ned Ross gesprochen, Artie. Er war ganz schön durcheinander.«
»Joe, es gibt keinerlei Probleme. Alles ist in Ordnung. Ich bin nicht krank.«
»Ich fürchte, du hast etwas missverstanden, Artie. Es gibt da sehr wohl ein Problem.«
»Was für ein Problem? Was gibt es für ein Problem, Joe?«
»Das möchte ich lieber nicht am Telefon besprechen, Artie. Könntest du in mein Büro kommen?«
»Warum nicht am Telefon? In dieser Stadt werden so gut wie alle Geschäfte am Telefon abgewickelt. Wenn du mir etwas zu sagen hast, sag es jetzt.«
»Ich wollte es dir nur leichter machen, Artie. Aber wenn du meinst … Ich fürchte, du wirst in die Röhre gucken. Das Studio dreht den Film nicht.«
Artie spürte, wie alle Luft aus seinem Körper wich, als hätte ihn jemand zusammengeschlagen. Das Gefühl war ihm vertraut; in einem Geschäft, das aus manischen Hochs und verzweifelten Tiefs bestand, war so etwas normal. Doch dieser Schlag traf ihn wirklich hart. Der schlimmste, den er je erlebt hatte. In seinem gesamten Berufsleben hatte er keine derart gewaltige Enttäuschung erlebt.
»Okay, Joe, ich will es nur richtig verstehen.« Unwillkürlich richtete er sich in seinem Stuhl auf und stellte die Füße fest nebeneinander auf den Boden wie ein Mensch, der einer Bruchlandung entgegensieht. »Du behauptest also, das Studio zieht sich aus der Produktion von Seitensprünge zurück. Warum?«
»Sie ziehen sich nicht zurück, Artie. Sie wollten den Film nie machen.«
»Ich verstehe nicht ganz. Es war doch alles abgesprochen.«
»Ich wünschte, du kämst in mein Büro. Dann könnten wir von Mann zu Mann reden.«
»Scheiß doch auf Mann zu Mann!«, explodierte Artie. Er fuhr sich mit der Hand über die Augen, in denen etwas Feuchtes brannte. Ein Gefühl der Demütigung stieg in ihm auf. Er schluckte heftig, um den Schmerz aus seiner Stimme zu verbannen. Verbirg den Schmerz, verwandle ihn in Wut, droh ihnen eine Klage an, schlag zu, morde – ganz egal, nur verbirg den Schmerz. Lass sie nie erfahren, wie weh es tut. »Was zum Teufel ist los, Joe?«
»Artie, ich
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