Stadt der Lügen
vieldeutig zugleich. »Ich glaube, ich muss jetzt wirklich gehen«, sagte sie und stand endgültig auf. »Gute Nacht, Tom. Pass auf dich auf.«
»Wann sehe ich dich wieder?«
»Ruf mich in ein paar Tagen an. Und bitte, schau nicht so unglücklich drein.«
Am nächsten Morgen musste Tom im Büro eines Produzenten vorsprechen, um sich einige Ausgaben erstatten zu lassen. Es war ein Routinevorgang, von dem alle außer der Steuerbehörde profitierten. Der Buchhalter war ein alter Hase namens Hank, der im Lauf der Jahre für die meisten großen Studios gearbeitet hatte und dadurch, wie er gern zu tönen pflegte, einer der bestausgebildeten Diebe der Welt geworden war. Unglücklicherweise hatte er eines Tages den Fehler begangen, das Studio selbst zu bestehlen, anstatt sich an jemandem schadlos zu halten, der dem Studio Geld schuldete. Dieser Irrtum hatte ihm eine erstaunlich hohe Gefängnisstrafe eingebracht sowie in der Folge den derzeitigen Job in einem unbeschreiblichen Bürogebäude in der Nähe des Ventura Boulevard.
Hanks Aufgabengebiet war, obwohl sehr genau definiert, relativ einfach. Aus diesem Grund liebte er es, mit jedermann, der ihm zuhörte, über alte Zeiten zu plaudern. An diesem Morgen erwies sich Tom als geduldiges Publikum. Er hatte nichts Besseres zu tun und suchte ein wenig Ablenkung von Amanda.
Zwar hatte Hank in seinem früheren Leben nie unmittelbar mit Stars zu tun gehabt, war aber an einigen komplizierten Geschäften in ihrem Auftrag beteiligt gewesen. »Wenn man Vereinbarungen richtig zu lesen weiß«, pflegte er zu sagen, »ist man über jedes wichtige Detail im Leben der Vertragspartner informiert. Mit wem sie schlafen, wen sie bezahlen, wem sie einen Gefallen schulden und aus welchem Grund. Ein Vertrag ist eine Art Code. Man muss nur wissen, wie man ihn entschlüsselt.«
Nach diesem Auftakt folgten weitschweifige Geschichten über Berühmtheiten – der Name einiger war längst verblichen, andere lebten noch. Tom hörte der Litanei nur mit halbem Ohr zu, bis Hanks Monolog plötzlich das Problem berührte, das ihm zurzeit am meisten auf der Seele lag.
»Weißt du, was ich an den Frauen in diesem Geschäft so schätze?«, sagte Hank gerade. »Sie sind immer aufrichtig. Sie tun ihre Arbeit und werden dafür bezahlt. Sie tun nicht so, als ob sie etwas darstellten, was sie in Wirklichkeit nicht sind. Ganz anders als einige so genannte Schauspielerinnen, die dem Produzenten einen blasen, weil sie in seinem nächsten Film unbedingt eine Nonne spielen wollen. Und ich rede durchaus nicht von unbekannten Sternchen! Wenn in unserem Geschäft ein Mädchen einem Typen einen bläst, dann tut sie es auf der Leinwand, und nicht in irgendeinem Büro, um eine Rolle zu kriegen. Ich sage dir, diese Mädchen sind viel ehrlicher als einige dieser hochnäsigen Schauspielerinnen, die Oscars einheimsen und dabei künstlich über Mama, Papa, Amerika und alles Mögliche heulen.«
Tom wurde nachdenklich. »Erzähl mir von diesen Mädchen, Hank«, forderte er den Buchhalter auf. »Von den Mädchen in unserem Geschäft, die du kennen gelernt hast.«
Hank breitete die Arme aus. »Aber du arbeitest doch mit ihnen«, sagte er. »Du solltest sie besser kennen als ich.«
»Nicht wirklich«, erwiderte Tom. »Wenn man mit jemandem arbeitet, achtet man auf andere Dinge. Verstehst du? Man sieht nicht die Person.«
»Gut, dann erzähle ich dir von ihnen.« Hank begann, sich für das Thema zu erwärmen. »Ich kenne sie alle. Ich habe sowohl mit ihnen als auch mit ihren Agenten, Ehemännern und Freunden Geschäfte gemacht. Und es sind die nettesten Mädchen, die ich je kennen gelernt habe: ehrlich, aufrichtig und ohne Hintertürchen.«
Tom nickte weise, als Hank fortfuhr: »Nimm nur dieses Mädchen, mit dem du zuletzt gearbeitet hast. Torrid Flame. Sie ist genau so, wie ich meine. Waschechte Kalifornierin aus Escondido unten bei San Diego. Unheimlich nett. Kommt ab und zu auf einen Kaffee und ein Schwätzchen zu mir – genau wie du.«
»Sprichst du etwa von Amanda Higgins?«, fragte Tom und versuchte, nicht allzu verwundert zu klingen.
»Richtig. Amanda. So heißt sie wohl.«
»Aus Escondido? Ich dachte, sie wäre irgendwo in Europa geboren«, bemerkte Tom möglichst beiläufig.
Hank schüttelte den Kopf. »Wahrscheinlich verwechselst du sie mit jemandem. Ich brauchte einmal für eine Steuersache genauere Informationen über ihre Familie, die übrigens immer noch dort unten lebt. Zwar habe ich die Leute nie
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