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Stadt der Lügen

Stadt der Lügen

Titel: Stadt der Lügen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: David Ambrose
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Begleiterin.
    Am meisten störte ihn vermutlich, dass er in ihrer Gesellschaft mehr denn je über das Leben nachdachte, das er selbst führte. Wer im Mittleren Westen geboren ist, wird – ganz egal wie viel er erreicht und wie weit er sich von seinem Geburtsort entfernt – immer ein gewisses Maß schlichter Presbyterianer-Moral mit sich herumtragen. Sie ist immer da, auch wenn er es leugnet. Und selbst wenn er sie für eine Weile vergisst, lauert sie in Wartestellung; jederzeit sprungbereit zerrt sie ihn zurück in ihre erstickende Kleinstadt-Enge, sobald er ihr die geringste Chance dazu gibt.
    Und genau dies war Tom passiert, als sich Amanda in dem Lokal ihm gegenüber an den Tisch setzte. Sein erster Gedanke war, dass dieses Mädchen für ihn eine verbotene Frucht darstellte. Vielleicht hätte sie nicht einmal etwas dagegen gehabt, etwas mit einem Pornostar anzufangen; manche Frauen waren ganz heiß darauf, würden es aber ihren Freunden gegenüber nie zugeben. Und auf keinen Fall wünschten sie eine ernste Beziehung.
    Um es ganz offen zu sagen: Er hatte sofort das Gefühl gehabt, nicht gut genug für sie zu sein. Sie kam aus einer anderen, einer besseren Welt. Ironischerweise blieb dieses Gefühl auch, nachdem er erfahren hatte, wer sie war und was sie tat. Er schämte sich für das, was er ihr vor der Kamera antat. Dazu hatte er kein Recht.
    Vor ihrem Zimmer trennten sie sich mit einer zärtlichen Umarmung und einem sanften Wangenkuss. Und ehe er sich versah, schlüpfte sie aus seinen Armen und schloss die Tür hinter sich.
    Er gönnte sich ein Bad und dachte darüber nach, was sie ihm von sich erzählt hatte. Sie war in Deutschland geboren. Ihr Vater, Leutnant bei der Air Force, hatte einen Flugzeugabsturz nicht überlebt, als seine kleine Tochter erst sechs Jahre alt war. Später hatte die Mutter einen Witwer mit drei Kindern geheiratet; Amanda war immer das fünfte Rad am Wagen geblieben. Geld war ebenso knapp wie die Zeichen von Zuneigung. Sie hatte überlebt, weil sie es musste. Anstatt zu rebellieren, zog sie sich in sich selbst zurück. Sie träumte, las viel und schuf sich imaginäre Freunde. Immer wieder versuchte sie sich zu überzeugen, dass eines Tages ein Prinz kommen und sich in sie verlieben würde. Außerdem hatte sie sich – etwas realitätsbezogener – um die Aufnahme in eine Schauspielschule bemüht.
    Als sie mit siebzehn zu Hause auszog, verfügte sie schon über jahrelange Erfahrungen im Einsamsein. Sie fand einen Job als Verkäuferin für Kosmetikartikel in Sherman Oaks; in ihrer Freizeit nahm sie Schauspielunterricht. Nachdem sie sich ein paar Jahre wirklich bemüht hatte, merkte sie, dass ihr Talent allenfalls mittelmäßig war. Außerdem gefiel ihr die Aussicht, mit Sex für winzige Nebenrollen in nichtssagenden Filmen bezahlen zu müssen, ganz und gar nicht.
    Eines Tages erzählte ihr eine Freundin aus der Schauspielschule, deren Werdegang dem ihren ähnelte, dass man ihr ein Angebot für die Mitwirkung in einem Pornofilm gemacht hatte. Sie besprachen die Sache und kamen zu dem Schluss, dass es würdiger war, für das eigene Überleben zu ficken, als es um den Preis einiger banaler Zeilen in einem B-Movie zu tun.
    Tom erkannte, dass sie vieles gemeinsam hatten. Seine eigene Jugend war zwar behüteter gewesen, aber entsetzlich langweilig. Seine Eltern, die beide noch lebten und miteinander verheiratet waren, brachten es nicht fertig, Zuneigung zu zeigen oder Fantasie zu entwickeln. Auch er hatte die Einsamkeit kennen gelernt. Und er fühlte sich immer noch einsam.
    Warum konnten sie ihre Einsamkeit nicht teilen? Warum brachte er es nicht fertig, ihr Vertrauen zu gewinnen? War es nur die Arbeit, die zwischen ihnen stand? Diese choreografisch ausgearbeiteten, auto-erotischen und völlig unrealistischen Sexualakte? Tom fand keine Antwort. Er wusste nur, dass er sie so verzweifelt begehrte wie ein pubertärer Jüngling, der sich zum ersten Mal verliebt hat.
    Die Reaktion auf seine Gedanken war, dass sich Toms Körper regte. Er blickte an sich hinunter. Wie eine stumme Anklage erhob sich seine Erektion aus dem Seifenschaum und erbebte rhythmisch mit jedem Herzschlag.
    Resigniert streckte Tom die Hand aus und ging so mit dem Problem um, wie es ihn seine Einsamkeit gelehrt hatte.
     
     
    Den Ausdruck »Fluff Girl« hatte Tom am ersten Arbeitstag im Pornogeschäft kennen gelernt. Als er sich nach dem Sinn erkundigte, hatte Zeb gegrinst und auf ein Mädchen mit unglaublich üppiger Haarpracht

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