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Stadt der Lügen

Stadt der Lügen

Titel: Stadt der Lügen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: David Ambrose
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Erneuerung. Es war, als hätte Bob sie nie berührt. Als sie ihm das nächste Mal entgegentrat, war sie zur Frau geworden. Sie sagte ihm, dass ihre Beziehung der Vergangenheit angehöre und dass sie ihn umbringen würde, falls er es wagte, sich ihr noch ein einziges Mal zu nähern. Er glaubte ihr.
    Dann erinnerte sie ihn daran, dass er das Sorgerecht für sie hatte, solange ihre Mutter sich nicht um sie kümmern konnte. Sie wusste sehr genau, was sie aus diesem Vorteil machen wollte. Er sollte das Schulgeld für drei Jahre in einer Schule in Chicago aufbringen, von der sie gelesen hatte. Es war eine Schauspielschule, in der auch normaler Lehrstoff angeboten wurde. Sie forderte das Geld sofort ein; anderenfalls drohte sie mit dem Gang zur Polizei. Es gab keinerlei Diskussion.
    Schon mit kaum vierzehn Jahren war sich Ellie bewusst, dass sie längst zu schauspielern gelernt hatte. Es war ein merkwürdiges Gefühl gewesen, und sie hatte lange gebraucht, ehe sie es identifizieren konnte. Es schien sowohl eine Verbindung mit der Welt zu sein als auch eine Möglichkeit, sich vor ihr zu verbergen; eine Brücke und gleichzeitig eine unüberwindbare Trennungslinie, die ihr ein Gefühl von Sicherheit vermittelte. Sie war sicher, jede Rolle spielen zu können, die sie je im Kino gesehen hatte. Aber sie war auch intelligent genug aufzuhorchen, als sie das erste Mal über das Wort »Schauspieltechnik« stolperte und es im Lexikon nachschlug.
    In der Schule lernte sie, sich zu bewegen, ihre Stimme zu modulieren, Rollenverständnis und Szenenanalyse. Sie galt als talentiert. Immer, auch in ihren unbändigsten Vorstellungen, hatte man den Eindruck, sie halte sich zurück und hätte noch Reserven. Sie hatte das Zeug zum Star.
    Ihre Abschlussvorstellung in Die Katze auf dem heißen Blechdach brachte ihr einen Agenten ein. Bei ihrer Ankunft in Hollywood hatte sie damit bereits einen unschätzbaren Trumpf in der Hand. Den Künstlernamen Gail hatte sie gewählt, weil erstens jeder Name schöner war als Ellie und ihr zweiter Name Norma zwar recht gut klang, sie aber den Vergleich mit der legendären Norma Jean scheute. Und Prentice passte einfach zu Gail.
    Sie wurde nicht gerade mit Arbeit überhäuft. Gail hatte eine gute Figur und ein attraktives Gesicht: hohe Wangenknochen, eine schmale Nase, ausdrucksvolle Augen und dichtes, dunkles Haar. Leider waren aristokratische Erscheinungen gerade nicht in Mode; die Zeit gehörte den kumpelhaften Mädchengesichtern à la Julie Christie.
    Wie zuvor schon die Jungen interessierten sich auch die Männer für sie. Sie war immer freundlich, hielt aber auf Distanz. Sie wusste, dass man sie in der Schule hinter ihrem Rücken die »jungfräuliche Königin« genannt hatte. In Hollywood spekulierten die von ihr abgewiesenen Männer – ganz egal, wie freundlich die Ablehnung erfolgt war – düster über Gails Vorlieben. Doch das war ihr egal. Ehe sie sich mit jemandem einließ, wollte sie sicher sein, dass es die richtige Person war und aus den richtigen Gründen. Sex, so dachte sie, musste eine Bedeutung haben.
    Und während sie auf den Durchbruch in ihrer Karriere wartete, tat sie das, was jede hoffnungsvolle Schauspielerin in Hollywood mindestens einmal im Leben tut: Sie kellnerte. Bei dieser Tätigkeit lernte sie Lenore Holloway kennen.
    Lenore kam regelmäßig zum Mittagessen und hatte einen Stammplatz in einer Ecke der Terrasse. Immer kam sie in Gesellschaft von zwei oder drei Leuten; manchmal waren Schauspieler dabei, die Gail zwar kannte, von denen man aber lange nichts gehört hatte. Lenore war eine Frau in den Fünfzigern und trug gern wallende Kaftans in knalligen Farben, um ihren Bauch zu verbergen. Doch sie aß und trank mit so fröhlichem Genuss, legte dabei häufig den Kopf in den Nacken und gab ein bellendes Gargantua-Lachen zum Besten, dass man davon ausgehen konnte, dass ihre Leibesfülle sie nicht störte.
    »Komm mal zu mir, Süße. Hast du fünf Minuten Zeit? Komm her und setz dich.« Lenores Gäste waren gegangen, und sie hatte mit der Rechnung eine weitere Tasse Kaffee bestellt. Sie winkte Gail zu sich herüber.
    Gail blickte sich um. Die Terrasse hatte sich geleert, und die wenigen übrigen Gäste schienen sie im Augenblick nicht zu brauchen. Sie nahm das Angebot an. Hinter ihrer getönten, an einer langen Goldkette befestigten Brille lächelte Lenore sie breit an. Dann wischte sie mit ihrer fleischigen, altersfleckigen Hand über den Tisch, als hätte sie etwas Wichtiges zu

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