Stadt der Lügen
verkünden.
»Ich beobachte dich schon lang. Du bist Schauspielerin, nicht wahr?«
»Woher wissen Sie das?«, fragte Gail.
»Ich weiß viele Dinge. Ich erkenne sie, wenn ich die Leute ansehe. Ich weiß zum Beispiel, dass du gut bist. Du bist ein schönes Mädchen und sehr talentiert. Ich werde dir helfen.«
Gail saß stumm neben ihr und wusste nicht recht, was sie davon halten sollte, während Lenore mit Trompetenstimme ihre Pläne entwickelte und sie mit großen Gesten unterstrich. »Ich bin Produzentin. Ich kenne eine ganze Menge Leute, denen ich dich vorstellen will. Du wirst weit kommen – ich weiß es ganz genau. So etwas weiß ich einfach. Vertrau mir. Wie heißt du?« Gail sagte es ihr.
»Eines solltest du wissen, Gail. In diesem Geschäft funktioniert alles nur über Beziehungen. Du bist so gut wie die Leute, die du kennst. Und jeder, der dir etwas anderes erzählt, hat keine Ahnung.«
Lenore verstummte und warf Gail einen Blick zu, der ihren Widerspruchsgeist reizte. Trotzdem sagte sie, dass das sicherlich stimme, und spürte, wie Lenores Hand die ihre tätschelte. Die Geste hatte nichts Intimes, sondern war lediglich eine Bestätigung ihrer Übereinkunft.
»Ich gebe morgen eine Party. Nur ein paar gute Freunde, die auf einen Drink kommen. Sei um sechs bei mir. Hier ist meine Adresse.« Sie nahm eine Visitenkarte aus der Tasche und drückte sie Gail in die Hand. »Alle sind international orientiert und sehr einflussreich. Genau die Art Leute, die du kennen lernen solltest. Alles gute Freunde von mir.«
Am folgenden Abend stieg Gail um Punkt sechs Uhr am unteren, vornehmeren Ende des Coldwater Canyon Drive aus einem Taxi. Sie war nicht mit dem eigenen Wagen gekommen. Lenore hatte sie nach der Automarke gefragt, die sie fuhr, ihr als Antwort auf ihre Auskunft einen Zehndollarschein in die Hand gedrückt und gesagt: »Nimm ein Taxi. Am besten nimmst du immer ein Taxi. Du gibst dir Mühe, toll auszusehen; mach nicht alles wieder dadurch zunichte, dass du selbst fährst. Du willst doch Eindruck machen – verstehst du, was ich sagen will? Außerdem könnte es durchaus sein, dass jemand dich im Anschluss noch zum Essen ausführen möchte.«
Das Haus am Coldwater Canyon Drive erwies sich als ausgedehnter, ebenerdiger Gebäudekomplex mit großzügiger Terrasse und einem Pool im Garten. Die Möbel waren von einem anonymen, zeitlosen und neutralen Luxus, wie man ihn oft in gemieteten Anwesen findet. Lenore hatte ein paar Blumenarrangements hinzugefügt und Fotos von sich selbst mit einer Auswahl von Möchtegernberühmtheiten auf den Deckel eines Flügels gestellt, aber insgesamt sagte die Wohnung nichts über ihre Bewohnerin aus. Vielleicht aber, dachte Gail, sagte sie alles aus.
Als Gail eintraf, gab Lenore ein Begrüßungsgebell von sich, lief mit wehendem Kaftan quer durch den Raum auf ihre Besucherin zu und nahm sie in die Arme. Anschließend stellte sie sie den Anwesenden vor.
Bei etwas mehr als der Hälfte von Lenores Gästen handelte es sich um Damen zwischen zwanzig und höchstens fünfunddreißig. Sie waren ausnahmslos sehr attraktiv, teuer gekleidet und deutlich anspruchsvoll. Sie sprachen von Leuten, die sie kennen gelernt hatten oder demnächst kennen lernen würden, von Orten, wo sie gewesen waren oder bald hinfahren würden, und von Einladungen, die sie bekommen hatten und wo man sich sicher – welche Freude! – wieder treffen würde. Sie schienen ihr halbes Leben im Flugzeug zu verbringen und jetteten zwischen L.A., New York, Europa, Rio und anderen exotisch klingenden Orten hin und her, von denen Gail kaum je gehört hatte. Ihr aufgesetztes Lächeln machte Gail bewusst, dass sie nicht dazugehörte, doch man behandelte sie freundlich, weil sie als Lenores Freundin galt.
Etwa die Hälfte der Männer stammte aus dem Mittleren Osten und hatten entweder mit Öl oder mit Bankgeschäften zu tun. Sie trugen makellose Seidenanzüge und ziemlich viel Schmuck. Zwei Texaner waren ebenfalls anwesend; einer verdiente sein Geld mit Öl, der andere mit Vieh. Sie trugen Westernstiefel und Lederriemen statt Krawatte. Alle anderen Männer kamen aus Hollywood, obwohl Gail nur ein einziges Gesicht kannte: Es gehörte einem abgehalfterten Fernsehstar, den Lenore schon einmal zum Lunch mitgebracht hatte.
Der Mann, den Lenore Gail vor allen anderen hatte vorstellen wollen, war um die vierzig. Sein Lächeln wirkte ziemlich zerknittert unter dem unbändigen Lockenkopf. Gail erkannte den Namen sofort: Marty war
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