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Stadt der Lügen

Stadt der Lügen

Titel: Stadt der Lügen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: David Ambrose
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kletterte auf einen Stuhl und ließ das Rollo hochschnellen. Dabei zuckte sie wie jedes Mal zusammen, wenn die Holzkugel, die als Griff diente, gegen die Fensterscheibe klackte.
    Sie schob den Stuhl zurück an den Tisch in der Mitte des Raums und öffnete die Kühlschranktür. Das einzige früher einmal Essbare darin war ein Stück Käse, dem ein zarter, grünlicher Pelz gewachsen war. Ellie wusste, dass sie den Käse eigentlich wegwerfen müsste, aber sie wusste auch, dass ihre Mutter dann wieder wütend werden und sie des Diebstahls bezichtigen würde wie beim letzten Mal. Das wollte sie nicht noch einmal erleben. Fasziniert betrachtete sie den Käse, der seit dem Morgen ein ganzes Stück grüner geworden war und zog dabei eine der sechs Flaschen mit dem dickflüssigen, süßen Fruchtsaft nach vorn, den ihre Mutter so liebte. Die Flasche war schwer, und sie müsste sie mit beiden Händen fassen; sie legte keinen Wert darauf, noch einmal eine Flasche zu zerbrechen.
    Mae Traynors Schlafzimmer war sogar noch dunkler als die Küche. Ellie konnte sich nicht daran erinnern, in diesem Zimmer je Tageslicht gesehen zu haben. Morgens, wenn sie zur Schule müsste, schlief ihre Mutter noch. Wenn Ellie nachmittags heimkam, sah die Mutter sich Shows im Fernsehen an und fragte nach ihrem Fruchtsaft.
    »Danke Liebes. Stell ihn hier hin«, sagte Mae und schob ein paar Pillen und Taschentuchpackungen beiseite, um Platz zu schaffen. »Ich habe Hunger. Geh doch bitte runter in den Deli, und hol mir einen Thunfischsalat.« Sie suchte in ihrer Börse nach Geld und zählte es in Ellis Hand. »Wenn du willst, kannst du dir auch etwas holen. Und jetzt los!«
    Ellie ging hinaus und lehnte die Tür so an, wie ihre Mutter es gern hatte. Als sie sich umblickte, sah sie, wie die Wodka-Flasche aus ihrem Versteck unter dem Bett hervorgeholt wurde. Wodka mit Fruchtsaft hieß das Zaubermittel, das ihre Mutter auf die Beine brachte, damit sie abends zur Arbeit gehen konnte.
    Mae war Kellnerin in Mac’s Big Joint am Bahnhof. Die Nachtschicht wurde besser bezahlt; außerdem saß den Truckern nachts das Trinkgeld lockerer, und man bekam im Schnitt doppelt so viel wie am Tag. Die Nacht und Mae Traynor waren immer gute Freunde gewesen, seit sie ihren ersten Job bei einer Show in Tahoe angenommen hatte. Es war eine schöne Zeit gewesen. Sie lehnte sich zurück, dachte an früher und ließ den Wodka ihr Blut erwärmen.
    Das Telefon klingelte. Es war Bob. Sie bat ihn, lauter zu sprechen, weil sie ihn beim Geräuschpegel der Show im Fernsehen nicht richtig hören konnte.
    »Ich sagte, ich bin gegen zehn zurück. Ich setze mich jetzt ins Auto und fahre ohne Pause durch.«
    »Komm doch zu Mac runter und iss etwas.«
    »Nee, ich bin bestimmt ziemlich platt. Ich hau mich lieber gleich aufs Ohr. Bis morgen.«
    Bob war Vertreter und oft tagelang fort, weil er im halben Land Büroausstattungen verkaufte. Sie waren nicht verheiratet, weil sie beide genug von der Ehe hatten. Mae hatte mit achtzehn zum ersten Mal geheiratet. Die Ehe hielt fünf Jahre. Sie hatten viel Spaß miteinander gehabt, bis ihr Mann wegen eines Finanzbetrugs, den sie nie ganz verstand, hinter Gitter kam.
    Ellies Vater war ein soliderer Bürger – zumindest glaubte Mae das. Aus diesem Grund entschloss sie sich, ein Kind zu bekommen. Damals war sie dreißig Jahre alt und tat sich mit dem Eigentümer einer Reinigung zusammen. Ihr war klar, dass sie nie im Cabrio durch Paris fahren würde, aber zumindest würden die Rechnungen bezahlt werden.
    Die Ehe und die kleine Tochter waren drei Jahre alt, als der Mann Pleite ging. Einen Monat später wurde er mit einem Kopfschuss aufgefunden – man nahm an, dass er bei Geldhaien in der Kreide stand. Mae sagte sich, sie hätte es kommen sehen müssen. Was hatte ein Mann aus dem Reinigungsgewerbe auch in Vegas zu suchen, wo er die spärlich bekleideten Cocktail-Kellnerinnen mit Blicken verschlang und Black Jack spielte, als hätte er noch nie davon gehört, dass man auch verlieren konnte?
    Sie betrachtete ihr Gesicht im Spiegel. Inzwischen war sie einundvierzig und hätte deutlich schlechter aussehen können. Hier und da wirkten ihre Züge ein wenig aufgedunsen, aber das war sexy. Eine neue Falte? Ein Schluck Wodka ließ sie wie durch Zauberhand verschwinden.
    Sie trat einen Schritt zurück, begutachtete sich im Ganzen und begann, sich anzuziehen. Wie jeden Tag sagte sie sich, dass ihr Körper noch recht gut in Form war. Alles war da, wo es hingehörte. Die

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