Stadt der Masken strava1
war.
»Nicht weiter beunruhigend«, sagte der Stravagante. »Er war mit anderen Festgästen zusammen. Zweifellos ist er inzwischen nach Hause gereist.«
»Nein«, sagte Rodolfo. »Das hätte er nicht können.«
Er verließ Dethridge mit den strikten Anweisungen, Lucien ins Laboratorium zu bringen, wenn er auftauchen sollte, dann schüttelte er seine eigene Müdigkeit ab und rannte die Treppen hinab und bis zu Leonoras Haus.
»Wie geht es ihr?«, fragte Silvia, die besorgt war, weil sie ihn in solcher Aufregung vorfand.
»Sie hält sich ganz gut«, sagte Rodolfo. »Ich sollte bald zu ihr zurück, um sie dem Volk zu präsentieren. Aber ich mache mir Sorgen um Luciano. War er hier?«
Beide Frauen schüttelten den Kopf, doch keine von ihnen konnte verstehen, warum Rodolfo so besorgt war. »Würdest du uns ein paar Minuten allein lassen, Leonora?«, fragte Silvia. Die Witwe zog sich ins Haus zurück und überließ die beiden sich selbst. Seite an Seite saßen sie auf dem Rand des steinernen Brunnens.
Doch noch ehe er von Lucien berichten konnte, hatte sie mit einem eigenen Thema begonnen.
»Es gibt etwas, worüber ich mit dir reden muss.« Sie warf einen Blick auf sein grüblerisches Gesicht. »Sobald sich die di Chimici wieder gefasst haben – vielleicht schon morgen und auf jeden Fall vor der Krönung –, werden sie die Legitimität von Ariannas Abstammung anzweifeln. Sie würden nach jedem Strohhalm greifen, um die Wahl für ungültig zu erklären und ihre Marionette einzusetzen.«
Rodolfo wartete. »Es ist an der Zeit, die Wahrheit zu enthüllen«, fuhr Silvia fort.
»Du musst ihnen sagen, dass sie meine gesetzliche Erbin ist. Du wirst unsere Heirat eingestehen müssen.« Rodolfo brauchte ein paar Sekunden, um zu begreifen, was Silvia ihm da vortrug.
»Unsere Heirat hat doch gar keine Auswirkung auf ihre Legitimität«, sagte er nachdenklich. »Es sei denn… du willst mir sagen, dass Arianna unser gemeinsames Kind ist?«
Als Silvia nicht antwortete, hob Rodolfo ihr Kinn mit seinen langen Fingern an und drehte ihr Gesicht sich selbst zu.
»Ich muss es wissen«, sagte er so sanft wie möglich. »Es hat mich fast verrückt gemacht.«
Der Schwindel vom Biertrinken war verklungen und es ging Lucien schlecht. Er hatte dröhnende Kopfschmerzen und war irgendwo in einen Raum eingesperrt, vermutlich in der Nähe des Großen Kanals. Sein Begleiter war ein Mann in einem blauen Umhang gewesen, der ihm irgendwie vertraut vorkam.
Doch kaum hatten sie die Piazza hinter sich gelassen, war er gar nicht mehr freundlich gewesen. Er hatte Lucien beim Handgelenk gepackt und ihm mit einer Merlino-Klinge gedroht, falls er sich losreißen würde. Als sie sich dann in einem Seitengässchen befanden, hatte er den Jungen geknebelt und gefesselt und ihm auch noch die Augen verbunden.
Lucien stolperte dahin und versuchte trotz des Knebels zu protestieren, doch die wenigen Passanten nahmen keine Notiz von ihm. Er wurde eine Treppe hinaufge
zerrt und in einen gefliesten Raum gestoßen, dann wurde die Tür zugeworfen und verschlossen. Später kam wieder jemand herein, derselbe Mann, dem Ge
ruch nach zumindest, und durchsuchte Lucien gründlich. Der Mann nahm all sei
ne Habseligkeiten an sich. Obwohl der Junge sich wehrte, musste er zusammen mit allem anderen auch das Notizbuch herausrücken. Viel später brachte ihm ei
ne Frau einen Becher Bier, das Letzte, was Lucien jetzt brauchen konnte, und ein Stück frisches Brot. Sie nahm ihm den Knebel ab, aber sie band seine Arme nicht los. Durch den Augenverband konnte Lucien sehen, wie dunkel es schon wurde.
Er legte sich auf den Boden und überließ sich der Verzweiflung.
Mr Laski war in seiner Praxis in der Harley Street, als er von der Unfallstation angepiept wurde. Innerhalb von Minuten hatte er seine restlichen Vormittagstermine verlegt und saß in einem Taxi ins Krankenhaus.
David und Vicky Mulholland, die in der durch Vorhänge abgeteilten Kabine saßen, sahen bleich und erschöpft aus. Ihr Sohn lag auf dem Untersuchungstisch, entspannt und anscheinend nur tief schlafend. Laski musste sich regelrecht beherrschen, um den Eltern gegenüber erst mal Mitgefühl zu zeigen und sich nicht gleich in die Untersuchung zu stürzen. Er konnte es kaum erwarten, sich den Patienten anzuschauen, doch zwang er sich dem Bericht der Mutter zuzuhören und Fragen zu stellen.
»Diesmal ist es viel schlimmer als die letzten beiden Male«, sagte Vicky Mulholland mit versagender Stimme. »Ich
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