Stadt der Masken strava1
musste einfach den Notarzt rufen – er ist und ist nicht aufgewacht. Dabei hab ich alles versucht – Schütteln, Rufen, nasse Waschlappen. Und dann habe ich ganz einfach durchgedreht. Ich habe meinen Mann angerufen und er hat gesagt, ich soll den Notarzt rufen und er würde auch gleich herkommen.«
Sie zerdrückte beim Reden ein Papiertaschentuch in den Händen. »Was ist das nur? Sind das Auswirkungen von seinem Tumor?«
»Ich kann gar nichts sagen, bevor ich ihn nicht untersucht habe«, sagte Mr Laski beruhigend.
»Aber das ist doch nicht normal, oder?«, fragte nun auch David Mulholland mit gepresster Stimme. »Sie haben uns nie gesagt, dass so etwas auftreten könnte.«
»Lassen Sie mich ihn erst mal ansehen«, bat der Arzt. »Wir müssen ein paar Un
tersuchungen machen.«
In Bellezza war Lucien hellwach, obwohl es Mitternacht war. Im Kopf stellte er sich immer wieder die Szenen vor, die sich daheim in seiner Welt abspielen würden. Beim Gedanken an das, was seine Eltern ausstehen mussten, durchlitt er solche Höllenqualen, dass es eine Erleichterung war, als die Tür zu seinem Zimmer aufging, auch wenn er Angst um sein Leben hatte.
Da seine Augen noch verbunden waren, funktionierten seine anderen Sinne umso besser. Er bemerkte den muffigen Geruch seines Entführers und dann noch einen scharfen, starken Duft wie Aftershave. Also zwei Leute, die miteinander flüsterten. Durch das grobe Tuch konnte er ein helles Licht sehen, als ob ihm jemand eine Laterne dicht vors Gesicht hielt. Dann entfernte sich das Licht wieder und er konnte hören, wie jemand scharf die Luft einzog.
Lucien hielt es nicht mehr aus. »Warum haben Sie mich hierher gebracht?«, fragte er mit einer Stimme, die ihm selbst ganz jämmerlich vorkam. »Ich will nach Hause.«
»Tatsächlich?«, antwortete ihm jemand mit kultivierter Stimme. »Doch wo genau ist dein Zuhause? Und kannst du dort hingehen? Oder brauchst du vielleicht etwas, was wir dir entwendet haben?«
Lucien verlor allen Mut. Sie wussten, dass er ein Stravagante war! Da musste di Chimici dahinter stecken. Aber vielleicht wussten sie ja noch nicht, welcher der Gegenstände, die sie ihm geraubt hatten, der Talisman war. Das Büchlein war ja immerhin bellezzanisch. Vielleicht würden sie ihn jetzt foltern, um das herauszufinden?
»Sie haben nicht das Recht, meine Sachen zu stehlen«, sagte er. »Ich will zurück zu Signor Rodolfo.«
Stinker und Dufter nannte Lucien die beiden Männer jetzt bei sich. Stinker sagte etwas, das er nicht verstehen konnte, und Dufter meinte: »Aber sicher kannst du zu dem Senator zurück. Irgendwann. Mein Freund hier bringt dich hin.«
»Und ich will meine Sachen wiederhaben«, sagte Lucien.
»Die kannst du auch haben«, erwiderte Dufter und fügte hinzu: »Alle außer dem Buch natürlich.«
Lucien zuckte unwillkürlich zusammen und hörte, wie Stinker zufrieden grunzte.
Na super, dachte er, jetzt hab ich ihnen auch noch verraten, was sie wissen müssen. Aber wenigstens werden sie mich nicht foltern. Andrerseits, vielleicht gibt es jetzt auch keinen Grund mehr, warum sie mich am Leben lassen müssen? Er stellte sich vor, wie ihn Stinker durch die kleine Gassen zu Rodolfos Palazzo schleifen und ihm stillschweigend den Merlino-Dolch zwischen die Rippen stecken würde. Auf eine Weise hoffte er sogar darauf, vielleicht, weil ihn das in seiner anderen Welt in seinen richtigen Körper zurückbringen würde. Aber tot oder lebendig? Vielleicht würde er wenigstens noch lange genug leben, um seinen Eltern mitteilen zu können, wie Leid es ihm tat.
Dethridge war inzwischen wieder nüchtern. Ehe Rodolfo gegangen war, um Arianna den Menschen vom Altan der Widder aus als neue Duchessa zu präsentieren, hatte er Alfredo aufgetragen, den alten Mann zum Dachgarten zu bringen und seinen Kopf unter die Pumpe zu stecken. Der triefende und ernüchterte Alchemist hielt sich die schmerzenden Schläfen und überlegte, wie er etwas Hilfreiches beisteuern könnte.
»Wir könnten in den Spiegel sehen«, sagte er schließlich. »Ich wähne, dass ich erkennen kann, ob er in seinem eigenen Leib ist oder nicht.«
Rodolfo eilte zu den Spiegeln. Er hatte vergessen, dass Dethridge ja ein Fenster auf Luciens Welt ausgerichtet hatte. Darin war immer Luciens Zimmer zu sehen und er selbst, wie er in seinem Bett lag, auch wenn Luciano in Bellezza war. Nach ein paar Handgriffen an den Hebeln zeigte der Spiegel den gewohnten Raum.
Sonnenlicht strömte durch das Fenster herein,
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