Stadt der Masken strava1
natürlich nie vermutet, dass du am Verbotenen Tag in Bellezza warst. Bei allen Schicksalsschlägen, die ich mir ausmalte, kam es mir nie in den Sinn, dass du die Gefahr selbst ausgelöst haben könntest!«
Arianna konnte es plötzlich nicht ertragen, die Duchessa so hoch aufgerichtet vor sich stehen zu sehen. Sie sprang auf und erwartete, dass ihr die Herrscherin wütend in die Augen blicken würde. Doch dann sah sie, dass die Augen der Duchessa, die den ihren so ähnlich waren, voller Tränen standen.
Die Woche in Venedig war vorüber. Lucien hatte alles besichtigt, was er sich vorgenommen hatte. Als sie mit der Fähre von Torcello kamen, am Lido Halt machten und dann über die Lagune zur Piazzetta zurückkehrten, war er sicher, dass er den Blick vom Wasser auf die Stadt nie vergessen würde. Die ganze Stadt schien auf dem Wasser zu schwimmen und die vielen schönen Kuppeln schimmerten golden in der Abendsonne.
Es erinnerte Lucien an seine letzte Bootsfahrt nach ihrem Besuch auf Torrone, als er mit Arianna zusammen gewesen war und kurz in seine Welt reisen musste. Da hatte die Stadt silbern geschimmert, aber beides wirkte gleichermaßen magisch und märchenhaft.
An ihrem letzten Abend hatte Dad eine Gondel mit Laternen gemietet und sie hatten einen singenden Gondoliere gehabt, ganz wie in einer Eiskremwerbung.
»Für das Singen muss man extra bezahlen«, flüsterte Dad. »Ich würde gerne wissen, wie viel man bezahlen muss, damit er wieder aufhört!«
Lucien hatte die Gondel ausgesucht und zu Ehren der Duchessa den bestaussehenden Gondoliere gewählt, der allerdings eindeutig über fünfundzwanzig war.
»Du bist wirklich ulkig, Lucien«, sagte seine Mutter. »Warum ist es so wichtig, wie der Mann aussieht?«
»Ich finde einfach, in Venedig sollte alles perfekt sein«, erwiderte Lucien. »Und es würde einen nur ablenken, wenn der Gondoliere hässlich wäre.«
Träge glitten sie in der seidigen Abendluft den Canal Grande hinauf und eine dreiviertel Stunde später waren sie wieder am Markusplatz. Es fiel Lucien erneut auf, dass nur die Touristen zwischen den beiden Säulen mit den Statuen hindurchgingen. Er hatte das unüberwindliche Gefühl, dass er ihnen nicht zu nahe kommen sollte.
»Was steht über die beiden Säulen in deinem Führer, Mum?«, fragte er.
Sie schlug nach. »Die Säulen von San Marco und San Teodoro«, las sie vor, »waren der Schauplatz eines schrecklichen Spektakels. Bis zum achtzehnten Jahrhundert fanden hier Hinrichtungen von Verbrechern statt. Abergläubische Venezianer gehen noch heute nicht zwischen ihnen hindurch.« Trotz des warmen Sommerabends musste Lucien frösteln.
»Scheußlich«, sagte Dad. »Kommt, wir nehmen einen letzten Drink.«
Sie gingen in eines der teuren Cafés, die Tische draußen auf der Piazza stehen hatten. Da es ihr letzter Abend war, bestellte Dad Bellinis – Cocktails aus Prosecco und Pfirsichsaft. »Kann ich auch ein Eis haben?«, fragte Lucien. »Lasst uns alle eins essen«, schlug Dad vor. »Es wird lange dauern, ehe wir wieder richtiges italienisches Eis bekommen.«
Die Duchessa saß in ihrem verspiegelten Empfangssalon und wartete auf den Botschafter. Sie hatte die Glasdekoration für den Raum kurz nach ihrer Wahl selbst in Auftrag gegeben und nach beinahe fünfundzwanzig Jahren war sie immer noch äußerst zufrieden damit. Jede Wand war mit tausenden von Spiegelglasteilen aus Merlino geschmückt. Aber nur die Duchessa und der Glaskünstler selbst kannten das Geheimnis, wie sie aufeinander ausgerichtet waren und welche täuschenden Spiegelungen sie erzeugten.
Der Raum verlieh ihr eine Überlegenheit bei allen formellen Audienzen und entnervte und verwirrte ihre Besucher, die nie ganz sicher waren, welche der vielen Duchessas, die sie vor sich hatten, die echte war. Das kam Silvia gut zupass, vor allem in den langen, ermüdenden Sitzungen, die sie in diesem Raum mit dem remanischen Botschafter hatte ertragen müssen. Sie seufzte bei dem Gedanken daran, dass sie heute wieder eine über sich ergehen lassen musste.
Es klopfte und ein Diener kam mit einem kleinen Päckchen herein.
»Entschuldigung, Euer Gnaden«, sagte er. »Ich weiß, Ihr erwartet den Botschafter. Aber der Bote bestand darauf, dass man Euch das hier sofort übergibt. Er sagte, es sei die Spitze, die Ihr in Burlesca in Auftrag gegeben habt, und dass es eilig sei.«
»Ganz recht«, erwiderte die Duchessa, obwohl sie von keiner bestellten Spitze wusste. »Danke, das war völlig
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