Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Stadt der Piraten

Stadt der Piraten

Titel: Stadt der Piraten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ernst Vlcek
Vom Netzwerk:
schätzte, dass die Kette aus mindestens dreißig Personen bestand.
    Endlich sah er über sich einen Lichtschein, und er fand sich zwischen den dicht beieinanderliegenden Wänden zweier Fachwerkhäuser wieder. Das Licht fiel aus einem Fenster über ihm in den engen Lichthof, der so schmal war, dass er sich nicht einmal herumdrehen konnte. Das Fenster lag keine Mannslänge über ihm, und aus ihm drang nicht nur Licht, sondern auch das Murmeln von Stimmen.
    Eine tiefe Frauenstimme begann zu singen. Es klang fürchterlich, aber gegen das Krächzen der Unbekannten hörte es sich wie Feengesang an. Unter ihm war ein Rascheln zu hören, und dann folgte Stille. Mythor atmete auf und begann in den Lichthof hochzuklettern. Er stemmte sich mit Armen und Beinen gegen die Wände und zog sich so weiter. Dabei wurde ihm bewusst, dass über Thormain bereits die Dämmerung hereingebrochen war. Das Gelage fiel ihm ein, und er verstärkte seine Anstrengungen.
    Er erreichte das Fenster und zog sich daran hoch. Als er den Kopf darüber hob, blickte er in eine Kammer, die durch einen Vorhang vom übrigen Raum getrennt war. Ein Mädchen stand vor ihm, das sich gerade entkleidete. Sie konnte ihn nicht sehen, weil sie die Röcke über den Kopf gezogen hatte. Als sie sich davon befreite, stand er bereits vor ihr, und noch bevor sie schreien konnte, verschloss er ihr den Mund mit der Hand.
    »Was trödelst du so lange herum, Salgla?« fragte eine tiefe Männerstimme durch den Vorhang.
    Das Mädchen bewegte die Lippen, und durch Mythors Hand drangen gedämpfte Laute. Sie verdrehte die Augen, um ihn besser sehen zu können, und was sie sah, schien ihr zu gefallen. Denn auf einmal entspannte sie sich und schmiegte sich an ihn.
    Aber da Mythor nicht nach einem Abenteuer dieser Art zumute war, drängte er das Mädchen durch den Vorhang und stieß es auf das Bett, auf dem ein halbnackter Mann kauerte. Als dieser Mythor sah, stieß er einen wütenden Laut aus und griff nach dem Schwert, das an der Liegestatt lehnte.
    »Lasst euch nicht stören!« rief Mythor zum Abschied und lief aus dem Raum. Über eine schmale, steile Treppe gelangte er nach unten und durch einen ebenso schmalen Flur ins Freie.
    Er fand sich in einer winkeligen Gasse wieder. Es herrschte ein dichtes Gedränge. Männer und Frauen standen herum oder bahnten sich einen Weg durch die wogende Menge. Betrunkene torkelten einher oder lagen im Weg. Plötzlich entstand ein Tumult, und dann bildete sich eine Lücke, in der zwei abenteuerlich gekleidete Männer die Klingen kreuzten.
    Mythor hastete die Gasse hinauf und kam zu einer Treppe. Links und rechts davon führten etwas großzügiger angelegte Straßen in tiefere Regionen der Stadt. Rechts konnte er weiter draußen den Hafen mit seinen Lichtern erkennen und dahinter das Meer der Spinnen, über das sich eine Nebelbank auf Thormain zuschob.
    »He!« rief Mythor einen Jungen an, der ein Tragegestell geschultert hatte. »Wie komme ich zu Yarghs Haus?«
    »Die Treppe hinauf«, antwortete der Junge im Vorbeigehen. »Es ist das Haus, wo es am lautesten zugeht. Aber bald schon werden einige dieser Radaubrüder ganz anders schreien, wenn der Herr der Schultern sich ihrer annimmt.«
    Mythor schenkte den Worten des Jungen keine besondere Beachtung. Für ihn zählte nur, dass das Fest bereits im Gange war, und die Sorge um die Freunde trieb ihn an.
    Er stürmte die steile Treppe hinauf und stieß dabei mit einigen Leuten zusammen, die ihm entgegenkamen. Das Schwerterklirren und die wütenden Zurufe missachtend, hastete er die Gasse am oberen Ende der Treppe weiter.
    Hier war das Gedränge womöglich noch schlimmer, geradezu lebensgefährlich. Mythor stieß mit einem Mann zusammen, der den Körper wie im Schmerz gekrümmt hatte. Er hätte ihn fast umgestoßen, konnte ihn aber gerade noch an den Oberarmen ergreifen. Da sah er, dass sich der Mann die Hände gegen den Magen presste, und diese Hände waren blutig.
    »Hau ab!« herrschte ihn der Verwundete an. »Ich schaffe den Abgang auch allein.«
    Mythor war so entsetzt, dass er sich nur zögernd zurückziehen konnte. Erst als ihm der Verwundete ins Gesicht spuckte, ernüchterte ihn das. Wie grausam das Leben in Thormain sein musste, ließ ihn der Umstand erkennen, dass das Sterben so würdelos war.
    Die Menschenmenge wurde immer dichter. Mythor war, als kämpfe er gegen eine Mauer an. Er wurde gestoßen rund stieß selbst.
    »Zurück!« schrie da jemand. »Oder wollt ihr niedergetrampelt

Weitere Kostenlose Bücher