Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Stadt der Schuld

Stadt der Schuld

Titel: Stadt der Schuld Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Eva-Ruth Landys
Vom Netzwerk:
als gedacht. Auf halber Strecke verlor er beinahe den Halt. Nur der schnelle Griff an die schmiedeeisernen Girlanden, die den unteren Teil der Fenster in diesem Stockwerk schmückten, bewahrte ihn vor dem Absturz. Atemlos hielt er inne. Hatten die drinnen etwas gehört? Er lauschte. Doch das lautstarke Gestöhne und das Knarren eines Bettrahmens setzten sich unvermindert fort. Das war noch einmal gut gegangen.
    Aarons Herz klopfte immer noch wild, als er schließlich die Leiter erreichte und sich an den weiteren Aufstieg wagte. Der sichere Boden war jetzt schrecklich weit entfernt. Sollte er erneut den Halt verlieren, war das gewiss sein sicherer Tod. Der Sims hier schien zwar intakt, aber noch schmaler als im Stockwerk darunter. Es gab nichts, an dem er sich hätte festhalten können. Langsam, den Rücken zur Wand, schob er sich vor bis zu dem Fenster, aus dem Kerzenschein in die Dunkelheit drang. Dann drehte er sich vorsichtig um, mühsam die Balance haltend, damit er hineinsehen konnte. Offenbar gab es hier noch weitaus exquisitere Räume als im unteren Bereich. Das Zimmer war viel größer, wenn auch niedriger als die unteren Räumlichkeiten. Im Halbdämmer des durch zwei große Standleuchter erhellten Raums glänzten blankpolierte, edle Möbel und spiegelten das ungewisse Licht der Kerzen. Üppige, golddurchwirkte Stoffe waren im ganzen Raum und an den Wänden drapiert. Es war leicht zu erraten, dass die Miete dieser Räumlichkeiten sehr teuer sein musste. Deshalb also waren die anderen Räume auf dieser Ebene noch dunkel. Nicht jeder wollte wohl den höheren Preis bezahlen.
    Der Mann, der sich dieses Zimmer geleistet hatte, saß schräg mit dem Rücken zu seinem heimlichen Beobachter in einem hochlehnigen Sessel. Nur seine rechte Hand, in der er eine glimmende Zigarre hielt, war zu sehen und ein Teil seiner haarigen Beine. Demnach zu urteilen war der Gast mittleren Alters. Jedenfalls hatte er eine Frau, eher ein Mädchen, bei sich. Aaron konnte auch ihr Gesicht nicht sehen. Sie kniete vor dem Mann, den Oberkörper zu ihm geneigt und den Kopf tief zwischen seine gespreizten, muskulösen Schenkel geschoben. Trotzdem war Aaron sich sicher, dass sie noch sehr jung sein musste, denn das, was er von ihrem halb entkleideten Oberkörper sah, zeigte ihre Jugend überdeutlich. Zart waren die nackten Schultern, und die Hände, die auf den Knien des Mannes lagen, wirkten noch kindlich. Es war nicht schwer zu erraten, welchen Dienst das Mädchen seinem Freier zu erweisen hatte, doch der schien alles andere als zufrieden mit ihr zu sein. Plötzlich stieß er sie unwillig fort und trat nach ihr. Aaron erstarrte: Mary! Grell geschminkt, geradezu verschandelt, das eine Auge verquollen, doch er erkannte sie sofort. Der Schock fuhr ihm fast schmerzhaft in die Glieder. Mary sagte jetzt etwas, das er nicht verstehen konnte, begann zu weinen und schlug die Hände vors Gesicht. Da sah er, wie der Mann plötzlich erbost aufsprang, ausholte und Mary einen heftigen Schlag gegen den Kopf versetzte. Wie ein lebloses Bündel sackte sie zu seinen Füßen zusammen. Aarons Hand ballte sich von ganz allein. Er schrie laut und seine Faust fuhr in die Scheibe. Das dünne Glas zerbarst. Die spitzen Kanten schnitten in seine Hand. Er achtete nicht darauf, fühlte keinen Schmerz. Nur ein Gedanke hämmerte in seinem Kopf: Dafür würde das Schwein bezahlen, sie alle würden bezahlen. Jetzt!
    Hastig griff er nach innen, riss am Fenstergriff und zog ihn in die Höhe. Der Mann fuhr mit einem Schreckensschrei herum. Die glimmende Zigarre fiel ihm aus der Hand auf den Teppich. Es war Ashworth.
    »Schwein! Du mieses, verdorbenes Schwein!«, schrie Aaron. Oh, wie er ihn hasste! Würgen wollte er ihn, jeden Tropfen seines verdammten Lebens aus ihm herauspressen. Er hatte es nicht besser verdient! Ashworth starrte ihn an, als sähe er einen Geist, aschfahl im Gesicht. Dann kam Leben in ihn. Er wich zurück und stieß dabei einen der Kerzenleuchter um. Doch zu spät. Schon hatte Aaron sich auf ihn gestürzt, packte ihn am Kragen und versuchte, ihn zu Boden zu werfen. Ashworth stolperte, doch er fiel nicht. Seine offene Hose behinderte ihn. Hastig griff er mit der einen Hand danach, mit der anderen versuchte er seinen rasenden Angreifer abzuschütteln. Es gelang ihm nicht. Einen Augenblick rangen die Männer keuchend miteinander. Da sprang Mary, die eben noch am Boden gelegen hatte, plötzlich auf, kreischte, schrie wie eine Wahnsinnige. Aaron sah am Rande

Weitere Kostenlose Bücher