Stadt der Schuld
Zusammenrottungen des Pöbels und Belästigungen von unbescholtenen Bürgern kommt. Ich selbst wurde gerade Opfer dieses Mobs und konnte mich nur mit Mühe vor einem tätlichen Angriff in Sicherheit bringen. Ich muss mich doch sehr wundern. Gehört es nicht zu den vornehmsten Aufgaben unserer geschätzten und überaus teuren Polizeibehörde in dieser Stadt, gerade solchen Störungen des bürgerlichen Friedens mit aller Entschiedenheit entgegenzutreten? Ich fürchte, ich werde diesen Vorfall an die Presse weitergeben müssen, wenn nicht umgehend etwas unternommen wird.«
Der Sergeant wurde, wie Horace es erhofft hatte, zunächst puterrot, dann blass. Die Klage eines Parlamentsabgeordneten würde der ohnehin misstrauisch beäugten Metropolitan Police eine schlechte Presse einbringen. Und das hieß: noch mehr Querelen mit dem Magistrat. Sicher aber würde es ihn persönlich Anstellung und Auskommen kosten. »Wo ist das geschehen, Sir?«, fragte er nervös.
»Great Russell Street No. 64. Ich sah mich gezwungen, mir meinen Weg durch eine aufgebrachte und gewaltbereite Meute von Gesindel und Zeitungsreportern zu bahnen, als ich eben einen Besuch im Hause Baker machen wollte. Ich wünsche, dass die Polizei sofort Gegenmaßnahmen ergreift.«
Der Sergeant nahm von einem Augenblick auf den anderen eine abwehrende Haltung ein: »Sir, ohne die ausdrückliche Anweisung meines vorgesetzten Inspectors darf ich in dieser speziellen Sache leider nichts unternehmen. Ihnen ist sicher bekannt, dass vor Kurzem dieser Rupert Baker von uns unter dem konkreten Verdacht eines fortgesetzten Unzuchtverbrechens verhaftet wurde. Da ist es den Leuten schließlich nicht zu verübeln, wenn sie ihrem Unmut über diesen Kerl Luft machen.«
»Den ›Kerl‹ werden Sie noch bereuen, Mann!«, schrie Horace aufgebracht. Zwar hatte er mit dieser Auskunft fast gerechnet, trotzdem trieb sie ihm jetzt blanken Zorn auf die Stirn. Der Sergeant wich vorsichtig einen Schritt zurück. »Ich rate Ihnen, holen Sie Ihren Inspector gefälligst her, sofort! Ich dulde keine weiteren Verzögerungen.«
»Das wird aber eine Weile dauern, Sir. Der Inspector wird nachts nur in wirklich ernsten Fällen hinzugezogen. Man müsste ihn erst zu Hause aufsuchen.«
»Dann empfehle ich Ihnen, das umgehend zu tun, wenn Sie mich nicht noch mehr verärgern wollen. Das ist ja unglaublich, was hier stattfindet. Ich werde diesen Vorfall im Parlament zur Sprache bringen, das garantiere ich.« Natürlich war das eine leere Drohung, aber sie tat die erwünschte Wirkung. Der diensthabende Sergeant fuhr zackig mit der Hand an seinen Dienstzylinder und schickte seinen Untergebenen umgehend zum Haus des Inspectors.
Horace schritt nervös und zutiefst beunruhigt in der Wache auf und ab. Warum konnte dieser verfluchte Inspector nicht schneller seine höchst überflüssige Gestalt herbemühen? Die holzeingefasste Pendeluhr, die ihm gegenüber an der Wand hing, pflichtschuldigst geschmückt mit dem emaillierten Konterfei der jungen Monarchin, tickte erbarmungslos. Horaces ängstliche Besorgnis stieg in dem Maße, wie der Zeiger der Uhr nach vorn rückte. Schon fünfzehn endlose Minuten waren vergangen. Hoffentlich hatte dieser Mob in der Zwischenzeit nicht schon das Haus gestürmt. Vor seinem inneren Auge spielten sich entsetzliche Szenen ab. Wenn Meredith etwas geschehen sollte ... Das würde er sich nie verzeihen können. Mühsam versuchte er, seine Angst zu unterdrücken. Er musste jetzt unbedingt die Nerven behalten – um Merediths und auch um Ruperts willen. Irgendwie musste es ihm gelingen, die Sache, wenn er sie auch nicht ungeschehen machen konnte, doch zu einem halbwegs akzeptablen Ende zu bringen. Vielleicht würde Meredith ihm dann glauben ...
Da trat der Inspector ein. Horace sah auf den ersten Blick, dass dieser Mann nicht ganz so einfach zu beeindrucken sein würde wie der Sergeant und sein Constable.
»Guten Abend, Sir«, begrüßte ihn der Polizeibeamte. Er trug Zivilkleidung und nicht die übliche blaue Uniform der städtischen Polizei. Seine schmalen, braunen Augen musterten ihn misstrauisch. »Ich höre, Sie wollen eine Beschwerde vorbringen bezüglich des Vorgehens der Behörden im Fall Baker? Wie Ihnen vermutlich bereits mitgeteilt wurde, liegt der Fall Baker in meiner Zuständigkeit.«
Ah, daher wehte der Wind. Der Mann wertete sein Einschreiten offenbar als persönlichen Angriff.
»Das habe ich nicht gesagt, Mr ...?
»Sears, Inspector Charles Sears.«
»Nun,
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