Stadt der Sterne strava2
Offensichtlich war er krank und es war niemand im Haus, der dem Wächter sagen konnte, was er tun sollte.
Enrico war in die Stadt geritten und würde erst am Nachmittag zurück sein.
Cesare spannte jeden Muskel seines Körpers an, und als der Wächter zu ihm trat, um ihn zu wecken, sprang er auf, schlüpfte ihm zwischen den Beinen durch und war schon die erste Treppe hinunter, ehe der andere reagieren konnte. Cesare rannte blindlings eine Treppe nach der anderen hinunter, wie ein gehetztes Tier, das einer Falle entkommt. Er wusste nicht, wohin er laufen musste, aber er nahm alle Kraft zusammen, um nur fortzukommen.
Nach mehreren Tagen ohne Bewegung und Essen war er geschwächt, aber der Überraschungseffekt hatte ihm geholfen, und sein zierlicher Körperbau, der einen so guten Rennreiter aus ihm machte, verschaffte ihm Vorsprung vor seinem schwerfälligen Verfolger.
Er schien sich in einem riesigen Palast zu befinden, auch wenn die Treppenhäuser, die er hinunterrannte, nicht die repräsentativen zu sein schienen. Cesare vermutete, dass er sich im Trakt der Bediensteten befand. Und als er schließlich das Erdgeschoss und den Ausgang gefunden hatte, wusste er, wo er war: im Palast der Chimici in Santa Fina.
So schnell er konnte, rannte er durch den Park und hielt erst an, als er im Schutz der Wälder ankam. Er war zerkratzt und keuchte und war ausgedörrt vor Durst, aber er war frei.
Der Vorlauf am Morgen der Stellata war für fast alle Reiter reine Formsache.
Nicht so für Georgia. Sie hatte eine weitere Gelegenheit, Arcangelo um die tückische Bahn zu reiten, und sie wollte alles herausholen. Und tatsächlich wurde sie diesmal Dritte. Sieger wurde der Reiter der Löwin auf La Primavera und der bekam jetzt erst, in letzter Minute, seinen Spitznamen. »Tesoro«, ihren Schatz, so nannten ihn seine Anhänger unter vielen Küssen und Umarmungen.
»Gut gemacht!«, sagte Lucien zu Georgia und sie glühte vor Stolz über seine Anerkennung.
Anschließend mussten die Reiter sich endgültig für das Rennen registrieren lassen. »Giorgio Gredi« wurde mit den elf anderen in die Liste aufgenommen. Jetzt gab es kein Zurück mehr.
Schon bald nach dem Mittagessen wurde Georgia zu Arcangelo in das »Pferdehaus« gebracht. Er hatte sich nach seinem morgendlichen Ritt erholt und erkannte sie inzwischen schon. »Alles in Ordnung Junge?«, flüsterte sie in seine rostrote Mähne. »Lass uns das Beste rausholen.«
Die erste Pflicht des Nachmittags bestand in einem erneuten Kirchenbesuch, diesmal in Santa Trinità, um den Segen zu bekommen. Alle Mitglieder des Bezirks, geschmückt mit roten und gelben Schärpen, drängten sich in dem kleinen Oratorium neben dem Kirchenschiff zusammen, doch die Menge wich auseinander, als Pferde und Reiter eintraten. Georgia ging neben Arcangelo auf dem roten Teppich auf den Altar zu. Der Teppich dämpfte den Klang seiner Hufe, aber es war trotzdem ein seltsames Geräusch in der Andachtsstätte. Die Menge war still und die Atmosphäre gespannt; keiner wollte das Pferd erschrecken.
Der Priester sang den Segen über Pferd und Reiter. Kurz spürte Georgia seine Hand auf ihrem Kopf. Dann wandte er sich zu dem Tier.
»Arcangelo – auf zum Sieg!«
Die Montonaioli warteten, bis das Pferd draußen im Sonnenlicht war, dann erhoben sie ihre Stimmen zu einem inbrünstigen Bittgesang.
Kapitel 22
Sternenreiter
Herzog Niccolò wurde von Trommelklängen geweckt. Wie jedermann in Remora hatte er seit Wochen mit diesem Geräusch gelebt, aber heute hatte es eine andere Qualität. Es erscholl direkt unter dem Fenster des Pfleghofs und es löste etwas Seltsames in ihm aus. Falco hatte es immer so geliebt – das Schauspiel der bunten Fahnen. Dieses Schauspiel mitzuerleben war vor seinem Unfall jedes Jahr seines kurzen Lebens ein Fest für ihn gewesen.
Der Herzog stellte fest, dass der Nachmittag der Stellata angebrochen sein musste, an dem alle Bezirke aufmarschierten. Das war der Moment, den Falco zum ersten Mal seit zwei Jahren wieder hatte genießen wollen. Niccolò trat langsam ans Fenster und sah auf den Platz hinunter, der geradezu vor Farben und Lärm explodierte.
»Das Leben geht weiter«, murmelte der Herzog bitter. Er wusste nur zu gut, was die Remaner für das alljährliche Rennen empfanden; immerhin hatte er in diesem Jahr alles Mögliche angestellt, um ihre Gutgläubigkeit und ihren Aberglauben auszunutzen. Aber das kam ihm vor wie der Plan eines anderen, der schon vor langer Zeit ausgeheckt
Weitere Kostenlose Bücher