Stadt der Sterne strava2
der Dunkelheit in Remora zu sein und die von Fackeln erleuchteten Straßen zu sehen. Aber in der wichtigsten Nacht des remanischen Jahres in das Singen und die Feierlichkeiten eingebunden zu sein und sogar als Ehrengast zu gelten und Lucien, der ihr zulächelte, an ihrer Seite sitzen zu haben – das war die reinste Seligkeit.
Mit fortschreitendem Abend wurde das Singen lauter und deftiger. Trinksprüche wurden auf Georgia, Paolo, Arcangelo, den Widder und alles andere, was den Montonaioli in den Sinn kam, ausgebracht. Es gab einen besinnlicheren Moment, als Paolo darum bat, das Glas auf die Gesundheit von Cesare zu erheben, »wo immer er sich jetzt befindet«. Lucien fügte flüsternd hinzu: »Und auf Merla.«
Zu essen gab es reichlich: angebratenes Gemüse, das kräftig mit Knoblauch und Kräutern gewürzt war, Fisch und andere Meeresfrüchte auf einem Bett aus scharfer Kresse, Pasta in allen nur erdenklichen Formen (wobei die Form von gedrehten Widder-Hörnchen am häufigsten vorkam), Wildschweineintöpfe, Gerichte aus Spinat und Pinienkernen, gegrillte Lammkoteletts und Hähnchen, Schüsseln mit angemachten grünen, weißen und roten Bohnen, ganze Käselaibe, mild und weich oder grün geädert und scharf – die herbeigebrachten Speisen wollten nicht enden.
Als die Holzbretter, die als Teller dienten, abgeräumt wurden, entstand eine Pause und eine in einen Umhang gehüllte Gestalt schlüpfte zwischen Georgia und Lucien. Sie zog ihre Samtkapuze zurück und Georgia sah in die veilchenblauen Augen von Arianna. Sie war unmaskiert. Paolo zog die Luft ein und erhob sich auf der Stelle, um erneut einen Trinkspruch auszubringen. Er konnte nicht direkt auf Ariannas Anwesenheit anspielen – die Tatsache, dass sie unmaskiert gekommen war, ließ vermuten, dass sie unerkannt bleiben wollte – und er hatte keine Ahnung, wie sie es geschafft hatte, dem Bankett im Zwillings-Bezirk zu entkommen. Doch er erhob das Glas auf die Schirmherrin des Widders und in der Via Montone ertönte allenthalben der Ruf »Bellezza!«.
»Bellezza!«, rief auch Georgia und trank, inzwischen schon etwas benommen, aus ihrem Silberkelch.
»Danke«, sagte Arianna amüsiert. »Und danke auch dafür, dass du heute nicht Letzte geworden bist. Mir scheint, dass sich mein Bezirk morgen nicht blamieren wird.«
Georgia war fasziniert von ihr. Es lag nicht nur an ihrer Schönheit – und sie war tatsächlich schön, wenn auch auf eine extravagante, filmstarartige Weise, die nichts mit ihren Gewändern und ihrem Schmuck zu tun hatte. Die Faszination ging für Georgia von ihrer Geschichte mit Lucien aus, von dem bedeutenden Teil seines Lebens, über den Georgia nicht Bescheid wusste. Und genauso faszinierend fand Georgia, dass Arianna die absolute Herrscherin über eine Stadt war,
die sich gegen die Chimici gewehrt hatte.
»Ist Rodolfo auch da?«, fragte Lucien.
»Nein«, erwiderte Arianna, ohne den Blick von Georgia zu nehmen. »Es war schlimm genug, dass ich mich entschuldigen ließ – eine plötzliche Unpässlichkeit, ihr versteht schon. Er musste als Repräsentant unserer Stadt dort bleiben. Aber ich konnte den Abend doch nicht verstreichen lassen, ohne meinem Reiter für das Rennen Glück zu wünschen!«
Nein, ich werde nicht rot, dachte Georgia, und sie stellte fest, dass Paolo wieder den Saum ihrer Bluse ergriffen hatte.
Die junge Duchessa sah Georgia jetzt direkt in die Augen. »Wir sind uns ähnli
cher, als du dir vielleicht vorstellen kannst«, sagte Arianna ruhig. »Beide tragen wir eine Verkleidung und vielleicht teilen wir sogar ein Geheimnis.«
Der Freitag in Islington zog sich für Falco schrecklich in die Länge. Die ganze Zeit hatte er Angst, dass Maura anrufen und nach Georgia fragen könnte. Und er war noch nie so lange ohne Nachrichten aus Remora geblieben. »Sollen wir einen Ausflug machen?«, fragte Vicky. »Du kommst mir ein bisschen niedergeschlagen vor.« Falcos erster Impuls war Nein zu sagen, doch dann fand er, dass es vielleicht die beste Ausrede war, unterwegs zu sein.
Wenn er fort war, musste er Georgias Mutter wenigstens nicht anlügen. Und gleichzeitig würde er sich keine Sorgen machen müssen, dass Vicky in sein Zimmer kam. Doch es war schlimm, das Haus verlassen zu müssen und zu wissen, dass Georgias Körper schlafend auf dem Boden neben seinem Bett lag. Seine Tür ließ sich nämlich nicht von außen abschließen. Es war ein schöner, warmer Tag und Vicky fuhr mit ihm in den Park. Der Weg war zwar nicht
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