Stadt der Sterne strava2
war er nur dankbar. Als er beschlossen hatte Reitstunden zu nehmen, hatte er doch nie so etwas wie das hier im Sinn gehabt. Allein schon das Aufsteigen auf das geflügelte Pferd war ein schwieriges Unterfangen gewesen; Lucien war noch nie ohne Sattel geritten und hatte immer jemand gehabt, der ihm beim Aufsitzen half. Nachdem er mehr oder weniger schief zwischen Merlas Flügeln gehangen und sich an ihrer Mähne festgeklammert hatte, hatte er seine Knie in ihre Flanken gedrückt und mit der Zunge geschnalzt.
Das schwarze Pferd hatte vom Trab zum Galopp beschleunigt, dann hatte es sich geschmeidig vom Boden gelöst und war mit wenigen kräftigen Flügelschlägen schräg in den Himmel aufgestiegen. Während Lucien die Augen schloss und ein Stoßgebet losschickte, hatte sie ihn über diese Wälder getragen.
Merla hatte anscheinend vor die Stadt anzusteuern – und beide vernahmen sie den Schrei unter sich zur gleichen Zeit. Merla hörte auf mit den Flügeln zu schlagen und schwebte majestätisch ruhig im Himmel. Ängstlich spähte Lucien über ihre Schulter hinab. Eine Lücke zwischen den Bäumen, die wie ein Haarscheitel aussah, lag unter ihnen. Lucien konnte ein blaues Band hindurchrinnen sehen.
Daneben stand eine Gestalt, die auf und ab sprang und etwas Rotgelbes schwenkte.
Die Gestalt wurde größer und Lucien begriff, dass Merla im Sinken nach einem Landeplatz Ausschau hielt. Lucien schloss die Augen und betete zur Göttin. Die Bäume rauschten an seinem Kopf vorbei und er hörte es zischen, als Merla die Flügel auf dem Rücken faltete und er in eine Wolke weicher schwarzer Federn gehüllt wurde. Sie neigte den Kopf, damit er über den Hals nach unten rutschen konnte.
Lucien konnte kaum stehen, so weich waren ihm die Knie geworden. Doch dann hörte er das Unterholz knacken und Cesare kam in die Lichtung gerannt, die Merla als Landeplatz gefunden hatte.
Die beiden Jungen umarmten sich freudig.
»Cesare! Wie bin ich froh, dass ich dich gefunden habe!«
»Und du hast Merla gefunden!«
»Nur weil ich nach dir gesucht habe!«
Cesare rannte zu Merla, die auf absurd normale Pferdeart dastand und graste. Er schlang die Arme um ihren Hals und legte den Kopf an ihren. Einen Moment lang verharrten Junge und Pferd ruhig und nahmen den gegenseitigen Geruch auf.
Dann wandte sich Cesare an Lucien. »Wir müssen auf den Campo. Das Rennen fängt bald an.«
»Keine Sorge«, sagte Lucien. »Georgia wird Arcangelo reiten.«
Cesare kämpfte mit widersprüchlichen Gefühlen. Er wusste, dass der Widder auf das Rennen verzichten oder aber einen anderen Reiter laufen lassen musste. Und er wusste, dass ein Ersatzreiter längst in die Liste eingetragen sein musste und nicht mehr ausgetauscht werden konnte. Georgia war immerhin gewohnt, ohne Sattel zu reiten, und seit seiner Entführung hatte sie genug Zeit gehabt, eine Beziehung zu Arcangelo aufzubauen. Aber gleichzeitig war er bitter enttäuscht. Die Stellata fand nur einmal im Jahr statt und er hatte sich so lange darauf vorbereitet. Womöglich war er im nächsten Jahr zu groß oder zu schwer, um Rennreiter zu sein?
Cesare seufzte. »Kann Merla uns beide tragen?«, fragte er und hielt sich noch immer an ihrer Mähne fest.
Lucien schüttelte den Kopf. »Vielleicht ein kleines Stück, aber nicht die ganze Strecke in die Stadt. Aber ich habe ja ein Pferd im Palast und der liegt nur ein oder zwei Meilen nördlich von hier.«
»Dorthin gehe ich auf keinen Fall zurück«, sagte Cesare. »Da haben sie mich gefangen gehalten. Ich habe Tage gebraucht, um fliehen zu können.«
»Und was ist mit Roderigos Stall?«, fragte Lucien.
»Wunderbar! Der liegt genau im Westen von hier und Sternenlicht ist noch dort.
Merla würde sie bestimmt sowieso gerne sehen und einer von uns kann dann mit ihr nach Remora reiten.«
»Dazu bin ich freiwillig bereit«, sagte Lucien. Ihm war es viel lieber, festen Boden unter den Füßen zu haben.
Merla ließ sie beide aufsitzen, wobei Cesare Lucien half und sich dann ohne Mühe vor ihn setzte. Er beugte sich vor und flüsterte Merla etwas ins Ohr. Sie breitete die Flügel aus und hatte in der Lichtung bald genug Tempo, um abzuheben. Die Jungen wussten nicht recht, ob sie genug Höhe erreichen konnte oder die Bäume auf der anderen Seite der Lichtung streifen würde, doch ihre kräftigen Muskeln und mächtigen Schwingen hoben sie rechtzeitig empor.
Georgia hatte einen Stein im Magen. Der Umzug hatte den Campo dreimal umkreist und die Stellata war über
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