Stadt der Sterne strava2
Stellata gewonnen hatte, veränderte sie mehr, als sie selbst je vermutet hätte. Sie hatte ein neues Selbstvertrauen entwickelt, das aus der tiefen, inneren Genugtuung stammte, dass sie eine Sache gut hingekriegt hatte. Das veränderte ihre Haltung und sogar ihr Aussehen. Sie brüskierte die Leute, die ihr freundlich begegneten, nicht mehr und sie stellte fest, dass mehr Leute, als sie vermutet hatte, sie auch mochten. Und nachdem Russell sie zu Hause nicht mehr niederzog, merkte sie, wie sich ihre Persönlichkeit in dem Freiraum entfaltete, den er zurückgelassen hatte. Georgia hatte ihren Augenbrauenring nicht ersetzt, aber inzwischen hatte sie sich ein geflügeltes Pferd auf die Schulter tätowieren lassen und sie hatte sich die Haare wachsen lassen und sie tizianrot gefärbt, mit roten und weißen Streifen im Pony. Außerdem hatte sie Rundungen entwickelt – nicht gerade übermäßig, aber erfreulich bemerkbar. Seitdem trug sie knappe, kurze T-Shirts statt weiten Pullovern. Inzwischen würde sie niemand mehr für einen Jungen halten, in keiner ihrer beiden Welten.
Doch wenn sich Georgias Leben seit ihrem letzten Besuch in Remora gewandelt hatte, dann hatte sich das von Falco völlig umgekrempelt. Er war auf Grund seines Alters und des schwer wiegenden Falles auf der Warteliste nach vorne gerückt und hatte noch vor seinem ersten Weihnachten in der neuen Welt ein neues Hüftgelenk bekommen. Es folgten Monate mit Behandlungen, Krankengymnastik und Gehenlernen ohne Krücken. Im Februar konnte er bereits ohne Hilfe gehen, doch er hinkte noch. Nachdem er viel Zeit in einem Sportstudio verbracht und schwimmen gelernt hatte, konnte er im Mai gehen ohne zu hinken und war fünf Zentimeter größer als bei seiner Reise vor neun Monaten. Falco war inzwischen in der neunten Klasse der Barnsbury-Gesamtschule und er war erstaunlich beliebt. Die Mädchen schwärmten für sein fremdartiges, gutes Aussehen und die Jungen hatten Respekt vor seinem unerbittlichen Üben und Trainieren. Und es tat seinem Ansehen keinen Abbruch, dass seine beste Freundin ein Mädchen aus der elften Klasse war, die alle für eine harte Nuss hielten.
Der Vorabend der Stellata di Falco war gekommen und wieder erstrahlten die Bezirke Remoras im Fackelschein. In Giglia war ein neues Stellata-Banner in Auftrag gegeben worden, in dessen rechter unterer Ecke ein kleines Bild von Falco
zu Pferde zu sehen war.
Cesare erwartete nicht eine Sekunde lang, dass man dem Widder gestatten würde wieder zu gewinnen, aber er genoss es, bei dem Bankett in seinem Bezirk am Vorabend Ehrengast zu sein, den Helm von dem Priester in Empfang zu nehmen und sich zu erheben, um seine erste Rede zu halten.
»Widder!«, wandte er sich an die Gäste, die wieder einmal in einem Meer von rot-gelben Tischtüchern und Fahnen saßen. »Ich fühle mich geehrt euer auserwählter Reiter zu sein. Bei der letzten Stellata wurde ich unvorhergesehen abgehalten, doch wir alle wissen ja noch genau, was dann geschehen ist!«
Es ertönte zustimmendes Gebrüll aller Montonaioli.
»Und obwohl er heute nicht unter uns weilen kann, bitte ich euch, auf das Wohl des letzten Siegers im Widder zu trinken – auf Giorgio Gredi!«
Und der ganze Platz hallte wider von den Worten »Giorgio Gredi!«.
Georgia hatte den ganzen Tag ein seltsames Gefühl gehabt. Sie hatte sich noch nicht so richtig daran gewöhnt, in der elften Klasse zu sein. Sie hatte eine neue Klassenlehrerin und nur noch fünf Wahlfächer. Außerdem durfte sie einen speziellen Aufenthaltsraum benutzen – mit Sesseln, die eigentlich nur der Abiturientenklasse vorbehalten waren, und mit einer kleinen Küche, wo man sich Kaffee aufbrühen konnte. Und sie hatte Freistunden, in denen sie in der Bibliothek oder, wenn es schön war, sogar draußen auf dem Rasen arbeiten konnte.
Und heute war ein schöner Tag, hochsommerlich, auch wenn es abends schon kühl sein würde. Direkt vor der Mittagspause hatte Georgia eine Freistunde und sie saß mit Alice im Freien und las eines der Bücher von ihrer Literaturliste, in dem es um den Stand der Dienerschaft in alten Zeiten ging. »Stell dir mal vor: eine Welt, in der gewöhnliche Menschen keine Kinder haben durften«, sagte Alice. »Wenn man an Russell denkt, eigentlich ’ne gute Sache«, erwiderte Georgia.
»Ach ja, der zieht doch heute aus, nicht? Habt ihr euch schon tränenreich verabschiedet?«
Georgia schnaubte verächtlich. »Bin froh, dass ich ihn los bin!« Und sie überlegte, ob sie
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