Stadt der Sterne strava2
sollte.
Während der Vorstellung stützte sich Falco auf seine Krücken und sah die Familie mit großen Augen an, wie es Georgia vorher getan hatte. Sie war gerührt, wie unglücklich er schien. Seine eigene Familie hatte die Herrschaft über Talia und doch konnte sie ihn nicht gesund machen. Sie bezweifelte auch, dass Mahlzeiten im Palast der Chimici so warmherzige Angelegenheiten waren.
Falco ließ sich auf einer Bank neben Aurelio nieder.
»Spielst du noch mal?«, flüsterte er. »Wir haben unserem Vater so viel von dir erzählt.«
Aurelio runzelte die Stirn und Georgia konnte erkennen, dass er etwas unwillig reagieren wollte, aber Raffaela flüsterte ihm etwas zu und er überlegte es sich anders.
»In Euren Palast werde ich nicht kommen«, sagte er höflich zu Niccolò. »Das soll nicht respektlos sein, aber wir Manusch sind keine gewerbsmäßigen Musiker. Wir spielen zur eigenen Freude. Dennoch mögen wir Leute, die Musik lieben und der Sohn Eurer Gnaden ist einer davon. Wenn Signor Paolo es erlaubt, werde ich draußen spielen und ihr seid willkommene Zuhörer.«
Niccolò war nicht erfreut, aber er wusste, dass es sinnlos wäre, zu hadern. Die Chimici begaben sich nach draußen in den Hof, wo Cesare und Teresa Bänke und Stühle für alle bereitstellten, und es begann ein Konzert, wie man es im Bezirk des Widders noch nicht gehört hatte.
Während der Musik machte Lucien Georgia und Cesare ein Zeichen und sie verschwanden im Stall.
»Was haltet ihr jetzt von den Chimici?«, fragte er.
»Die zwei Söhne gleichen ihrem Vater gar nicht, finde ich«, sagte Cesare.
»Ob wir ihnen wohl trauen können?«, fuhr Lucien fort. »Sie sind ja jetzt ganz friedlich, aber der Mann dort, Herzog Niccolò, hat den Tod von Ariannas Mutter in Auftrag gegeben – da bin ich sicher. Er hat Blut an den Händen.«
»Das wäre nicht das erste Mal«, sagte Cesare. »Solche Geschichten hören wir andauernd in Remora.«
»Aber es kann doch nicht schaden, sie deinem Rodolfo vorzustellen, oder?«, fragte Georgia. »Also, er wird doch sowieso nichts tun können für Falco, nicht?«
»Ich kann dazu nur eins sagen«, erwiderte Lucien. »Wenn es etwas gibt, was Rodolfo tun kann, dann wird er sich nicht weigern, nur weil Falco ein Chimici ist.«
Unter den vielen Passanten, die stehen blieben, um dem Spiel im Bezirk des Widders zu lauschen, war einer, auf den niemand weiter achtete: eine gedrunge
ne Gestalt in einem schmutzigen blauen Umhang. Enrico war Niccolò und seinen Söhnen ganz selbstverständlich vom päpstlichen Palast her gefolgt und nahm die Gelegenheit wahr, die Stallungen des Widders genauer in Augenschein zu neh
men. Er glitt durch die Zuhörer im Hof und schlich um die Ställe, denn er wollte die Pferde ansehen, während alle anderen lauschten.
Geräuschlos legte er das Auge an ein Astloch in der Bretterwand. Und dort stan
den die jungen Leute vom Widder in ein Gespräch vertieft – die Jungen, denen er nach Santa Fina gefolgt war, und ein Dritter, der auf dem Platz bei ihnen gestan
den hatte, als sie dem Musiker zum ersten Mal begegnet waren. Er war der Schü
ler von Senator Rodolfo in Bellezza – das wusste der Spion nur zu gut –, und ihn aus solcher Nähe zu sehen, brachte unangenehme Erinnerungen mit sich.
Rasch machte Enrico das Zeichen der »Glückshand«, eine Geste, bei der man den kleinen Finger und den Daumen der rechten Hand aufeinander legte und mit den mittleren drei Fingern Stirn und Brust berührte. Die Talianer machten dieses Zeichen, um Unglück abzuwenden. »Dia!«, flüsterte er und der Schweiß brach ihm aus. Irgendetwas an dem Jungen war unheimlich. Obwohl Enrico ihn bereits einmal angefasst hatte und wusste, dass er aus Fleisch und Blut war, umgab ihn etwas Unerklärliches. Damals hatte er keinen Schatten gehabt und auf einmal, genau, als Enrico und sein Herr ihn als Geist oder Wiedergänger hatten bloßstel
len wollen, hatte er plötzlich doch einen Schatten bekommen. Enrico erinnerte sich noch daran, wie sehr sein alter Auftraggeber Rinaldo di Chimici an diesem Phänomen interessiert gewesen war.
Er verstand nicht, was es bedeutete, und das machte ihm zu schaffen. Dieser Junge hatte ihn schlichtweg hereingelegt. Enrico hasste es, zu versagen und auch noch daran erinnert zu werden. Unwillkürlich verband er den Jungen auch mit dem anderen beunruhigenden Geheimnis: dem Verschwinden seiner Verlob
ten Giuliana.
Jetzt nahm er das Auge von dem Astloch und legte sein Ohr daran. Sie
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