Stadt der Sterne strava2
Arbeit gegangen und Russell in die Schule.
Georgia saß auf dem Rand der Badewanne, die zerkrumpelte Jacke auf den Knien, und hatte tatsächlich das Gefühl, dass sie krank war. Niemand anders als Russell konnte das geflügelte Pferd genommen haben. Georgia wusste, dass es sinnlos war, aber sie ging doch hinüber und versuchte die Tür seines Zimmers zu öffnen. Sie war verschlossen. Wie betäubt ging Georgia nach unten und machte sich einen Teller Cornflakes zurecht, weil sie Angst hatte, dass sie ohnmächtig würde, wenn sie nicht irgendetwas aß. Aber sie bekam das Essen kaum herunter.
Dann rief sie beim Arzt an, dort gab man ihr erst für die Mittagszeit einen Termin. Sie duschte kurz, während sich ihre Gedanken überschlugen. Was sollte sie machen, wenn Russell sich weigerte das Pferd zurückzugeben? Oder noch schlimmer: Wenn er es beschädigte oder wegwarf? Bei dem Gedanken daran, dass Russell die kleine, geflügelte Figur unter einem seiner Dockers Größe sechsundvierzig zermalmen konnte, drehte sie das Wasser so stark auf, dass es sie fast verbrühte. Gut, es war eine Sache, dass sie beschlossen hatte, ein paar Tage nicht nach Talia zu reisen. Aber der Gedanke daran, dass sie vielleicht gar nicht mehr zurückkonnte – dieser Gedanke war eine ganz andere Sache. Und was würde dann mit Falco?
Georgia hatte in letzter Zeit viel über Falco nachgedacht. Was er von ihr und Lucien verlangte, war sicher gefährlich und womöglich sogar falsch. Aber sie hatte sich eingebildet, dass es vielleicht der Grund war, warum sie in Talia gelandet war, der Grund dafür, dass der Talisman überhaupt in ihre Hände gelangt war.
Sie glaubte nicht wirklich, dass sie dazu bestimmt war, dauerhaft eine Stravagante zu werden so wie Lucien. Und sie kam sich auch nicht besonders begabt vor und hatte nicht das Bedürfnis, die geheimnisvollen Künste und Fertigkeiten der Stravaganti zu lernen. Nein, sie hatte das Gefühl, dass sie für eine bestimmte Aufgabe in Talia ausersehen war, und das konnte sehr gut die Errettung Falcos sein. Ohne den Talisman würde sie allerdings gar nichts vollbringen können. Es war entsetzlich. Wie lange würde Paolo brauchen, um festzustellen, dass sie nicht nach Talia zurückkehrte? Würde er ihr vielleicht einen neuen Talisman bringen können? Georgia hatte keine Ahnung, ob so etwas erlaubt oder überhaupt möglich war – sie hatte das Gefühl, dass sie verrückt werden würde, wenn sie noch länger im Haus blieb.
»Seine Exzellenz, Prinz Gaetano von Giglia!«, verkündete der Lakai der Duchessa.
Gaetano wurde in einen großen Empfangssaal geführt, dessen lange Fenster auf den Kanal hinausgingen. Am hinteren Ende befand sich ein hölzernes Podest, auf dem ein kunstvoller Mahagoni-Thron stand. Daneben, auf einem viel weniger üppigen Stuhl, saß ein Mann, der in Schwarz gekleidet war und volles silberschwarzes Haar hatte. Das war eindeutig der Regent Rodolfo, Vater und Ratgeber der jungen Duchessa und selbst ein mächtiger Stravagante.
Gaetano merkte, wie er beim Anblick eines der ärgsten Feinde seines Vaters solches Herzklopfen bekam, dass er die zarte Gestalt auf dem Thron kaum richtig ansehen konnte.
»Principe«, erklang eine liebliche, singende Stimme, »Bellezza heißt Euch willkommen. Ich hoffe, dass Ihr im Palazzo des Botschafters gut untergebracht seid?
Darf ich Euch meinen Vater vorstellen, Senator Rodolfo Rossi, den Regenten der Stadt?«
Rodolfo tat dem jungen Chimici die Ehre, sich zu erheben, und kam ein paar Schritte auf ihn zu, ehe er sich verbeugte.
Gaetano erwiderte die Höflichkeiten, dann kniete er vor der Duchessa nieder und küsste ihr die Hand, die sie ihm entgegenhielt. Sie bat ihn sich zu erheben und er blickte durch eine silberne Maske in ihre veilchenblauen Augen. Gaetano war in Palästen und Schlössern aufgewachsen, daher waren ihm Förmlichkeiten und höfische Etikette nicht fremd und er ließ sich nicht davon einschüchtern. Doch als er dem Anlass seiner Reise nun gegenüberstand, merkte er, wie er rot wurde und wie ein Stallbursche zu stammeln begann.
Sie war schön; so viel konnte er trotz der Maske sehen. Schlank und groß, mit glänzenden rotbraunen Haaren, die kunstvoll auf ihrem Haupt zusammengesteckt waren und die hübsche Form ihres Kopfes erkennen ließen. Einige widerspenstige Locken hatten sich gelöst und hingen ihr in die Stirn und über den Nacken, sodass sie natürlicher wirkte – trotz der Steifheit ihres Kleides, Und diese Augen! So groß und
Weitere Kostenlose Bücher