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Stadt der tausend Sonnen

Stadt der tausend Sonnen

Titel: Stadt der tausend Sonnen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Samuel R. Delany
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auf ihre Richtigkeit hin zu prüfen. Es ist für sie ein unbewußtes Trauma und sie reagiert entsprechend. Das heißt, daß sie wie ein Psychotiker handelt.«
    »Um bei dieser Analogie zu bleiben«, sagte Clea, »kommen die Aufgaben, die wir ihr stellen, einer Psychotherapie so nahe wie nur möglich. Sie muß durch unsere Fragen die Gehirnmuster überprüfen und erhält so ein Bild der psychotischen Unstimmigkeiten. Durch meine Berechnungen gewinnt sie eine tiefere Einsicht, wenn man es so nennen kann. Allein dadurch, daß wir sie beschäftigen, haben wir ihre destruktiven Handlungen viel mehr eingeschränkt, als das Militär während seines ganzen Aufenthalts hier imstande war.«
    »Ist die Lösung denn lediglich, ihre Aufgaben zur Beschäftigung zu geben?« fragte Jon.
    »So einfach ist es auch nicht. Sowohl Clea als auch ich arbeiten an der Formulierung unserer Fragen seit Jahren. Egal, was man sich in einer Woche oder einem Monat ausdenken würde, die Maschine könnte es vermutlich in wenigen Minuten beantworten. Wir müßten heute fertig werden. Was danach geschieht, wissen wir nicht.«
    Nonik lachte. »Ich werde ihr wohl weiter meine Gedichte rezitieren müssen.«
    »Das ist das einzige andere, das sie noch beschäftigen kann«, erklärte Clea. »Sie scheint Vol gern zuzuhören und macht gleichzeitig eine komplette phonetische und syntaktische Analyse von allem, was er sagt, das sie dann mit ihrem bereits gespeicherten Material vergleicht.«
    »Aber ich kann nicht immer hierbleiben«, warf Vol ein. »Das ist das Problem, nicht wahr, Clea?« Er trat an das Fenster, das auf eine der Straßen hinausschaute. »Manchmal muß ich einfach weg von hier, wenn es auch nur ein Spaziergang durch die Stadt ist, doch hin und wieder will ich weiter fort, zurück zur Stadt der tausend Sonnen, oder sogar noch weiter … Etwas zwingt mich dazu. Ich kann nicht dagegen an.« Plötzlich ging er durch die Tür und verschwand.
    »Es ist furchtbar, was er durchmacht«, murmelte Rolth nach einem Augenblick.
    »Clea?« sagte Alter. »Du hast doch auch jemanden verloren, den du so sehr geliebt hast, wie Vol seine Frau. Du bist darüber hinweggekommen.«
    »Ich habe jemanden verloren«, wiederholte Clea. »Deshalb weiß ich, wie schrecklich es ist. Ich brauchte drei Jahre, ehe ich mich auch nur wieder wie zumindest ein halber Mensch fühlte. In dieser Beziehung verhält er sich viel vernünftiger. Er macht immer noch seine Gedichte. Aber er ist in einer wirren, chaotischen, bedeutungslosen Welt, einer Welt des reinen Zufalls gefangen.«
    »Du hast einmal zu einem kleinen Neandertalerjungen gesagt, wenn man alle Faktoren überblicken kann, verschwindet das Zufallselement.«
    »Glauben Sie denn nicht, daß wir versucht haben, ihm das klar zu machen?« warf Rolth ein.
    »Er sagt nur, wir sollen doch die nächste Primzahl vorhersagen, und lacht«, warf Clea ein.
    »Und seine Gedichte?« fragte Alter. »Sind sie besser oder schlechter als zuvor?«
    Wieder schwiegen sie. »Ich weiß es nicht«, antwortete Rolth schließlich. »Ich fürchte, er steht mir zu nahe, als daß ich es überhaupt beurteilen könnte.«
    »Sie sind viel schwieriger zu verstehen als früher«, sagte Clea. »Und auf gewisse Weise doch bedeutend einfacher. Sie enthalten bei weitem mehr objektive Beobachtung, aber die Bedeutung der Juxtaposition und der bildlichen Sprache der Gefühlsbetonung ist so komplex geworden, daß ich einfach nicht sagen kann, ob es genial erdacht ist oder …«
    »… einem kranken Geist entspringt«, beendete Rolth den Satz für sie.
     
    Nach einer Stunde akrobatischer Übungen an diesem Abend spazierten Jon und Alter durch die allmählich dunkler werdenden Straßen. Sie stiegen Stufen hoch, die von einer Straße zu einer höheren Spirale führten. Als sie oben waren, stellten sie fest, daß sie sich über allen Gebäuden, mit Ausnahme des Palasts im Zentrum, befanden. Diese Spiralenstraße schlängelte sich über die dunklen Türme durch die Nacht, und vom Geländer aus konnten sie auf die niedrigeren Häuser Telphars hinunterblicken.
    Die Stadt unter ihnen erstreckte sich bis zu der weiten Ebene, und die Ebene sich bis zu den Bergen, die immer noch unter der schwach flackernden Strahlenbarriere glühten. Neonlampen leuchteten entlang der Straßen auf und verbargen ihre Schatten. Als sie wieder aufblickten, sahen sie etwa zwanzig Meter weiter eine Gestalt gegen das Geländer lehnen.
    »Haben Sie mich gesucht?« rief Nonik ihnen zu.
    Sie gingen zu

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