Stadt, Land, Kuss
sie?«
»Das sind Mac und Tosh.« Glorias Stimme klingt gepresst vor Ärger. »Los, ab ins Körbchen, ihr zwei.« Mit ihren Stummelschwänzchen wedelnd laufen sie zu einem Pappkarton zurück, der mit schmuddeligem Zeitungspapier ausgelegt ist. »Sie müssen den Dreck entschuldigen«, fährt Gloria fort. »Ich bin heute noch nicht dazu gekommen, hier sauber zu machen.«
Nicht nur heute, vermute ich nach einem Blick auf den schmutzigen Wassernapf und die zahllosen Hundehaufen, in denen sich verrutschte Pfotenabdrücke abzeichnen. Es ist ekelhaft. Vollkommen verwahrlost.
»Sie sind seit ungefähr achtzehn Monaten bei mir. Ihre Besitzer haben sich getrennt. Eine furchtbar traurige Situation.«
»Konnten Sie denn kein neues Zuhause für sie finden? «, frage ich und fühle, wie sich meine Kehle vor Trauer zusammenschnürt. Dieser Innenhof ist das reinste Gefängnis. Macs und Toshs einziger Kontakt zur Außenwelt ist Gloria, eine alte Frau, die ihnen unmöglich die Aufmerksamkeit und den Auslauf bieten kann, den sie brauchen. Ich bezweifle gar nicht, dass sie sie liebt, aber …
»Fifi – pfui, ich kann diese Frau nicht ausstehen –, sie wollte sie trennen, doch die Vorstellung konnte ich nicht ertragen. Es hätte ihnen die kleinen Herzen gebrochen. Ihnen kommt das vielleicht lächerlich vor, aber sie sind zusammen, seit sie acht Wochen alt waren.«
»Das kommt mir ganz und gar nicht lächerlich vor.« Ich stehe wieder auf. »Also, wo ist das Katzenhaus?«
»Da hinten.« Gloria deutet verächtlich auf die Wand aus Zementblöcken gegenüber. »Da haben Sie, was Sie wollten. Jetzt haben Sie es gesehen.«
»Gloria, ich bin nicht blöd.«
»Ich würde Sie ja herumführen, aber ich scheine den Schlüssel verlegt zu haben«, sagt sie und klopft die Taschen ihres Hauskleids ab, »und Sie werden doch bestimmt in Ihrer Praxis gebraucht.«
»Sie sollten den Schlüssel lieber schnellstens finden«, rate ich ihr. »Ich hole jetzt meine Tasche aus dem Wagen. Die kleine schwarze Katze muss wegen ihrer Hautprobleme behandelt werden, Macs Krallen sollten geschnitten werden, und wir müssen dringend darüber nachdenken, wie wir die ganzen Flöhe loswerden.«
»Flöhe? Ich habe keine Flöhe.«
»Sie nicht, aber Ihre Teppiche. Ich habe schon erlebt, dass junge Kätzchen bei einem so starken Befall an Blutverlust gestorben sind.«
Ich setze sie abwechselnd unter Druck und rede ihr gut zu, und als ich zehn Minuten später mit meinem Arztkoffer wiederkomme, taucht der Schlüssel wie durch ein Wunder aus den Tiefen ihrer Tasche wieder auf. Gloria hantiert mit dem Vorhängeschloss am Riegel der Tür, die in das lang gestreckte, niedrige Gebäude hinter dem Hof führt. Das Heulen wird immer lauter. Ich versuche, durch das winzige Fenster neben der Tür zu schauen, doch die Sicht ist durch einen Sack Tierfutter versperrt.
»Ich muss die Hunde und die Katzen vorübergehend im gleichen Gebäude unterbringen, weil das Dach der alten Zwinger undicht ist.« Endlich löst sich das Vorhängeschloss, und Gloria öffnet die Tür. »Guten Morgen, meine Lieblinge«, gurrt sie, und die Hunde verstummen.
Es ist schon Nachmittag, würde ich am liebsten sagen, und etwas spät fürs Frühstück.
»Wie oft füttern Sie sie?«
»Jeden Tag. Ich esse selbst nichts, damit ich meinen Tieren etwas geben kann.« Gloria tastet nach dem Lichtschalter, und es wird hell. »Dann kommen Sie schon rein, wenn es unbedingt sein muss.«
»Es muss sein.« Der Gestank im Haus war schon schlimm, aber das hier ist zehnmal schlimmer. Ich drehe mich auf dem Absatz um, renne nach draußen und übergebe mich neben der Tür ins Gras. Um meine Verlegenheit zu überspielen und in diesem Gestank atmen zu können, ziehe ich mir den Ausschnitt meines Tops über die Nase, ehe ich wieder hineingehe. Gloria scheint weder mein Unbehagen noch den Gestank zu bemerken.
Sie führt mich in den ersten kleinen Raum am Gang.
»Hier spüle ich die Näpfe und bereite das Futter vor.« Mit einer vagen Geste deutet sie auf das Becken, das von Näpfen überquillt, einen Müllsack, dessen übelriechender Inhalt sich über den Boden ausbreitet, und einen Arbeitstisch, auf dem Kanister und Käfige übereinandergestapelt sind wie die Behausungen in einem Slum. In einem der Käfige beginnt etwas zu rasseln: eine Wüstenrennmaus läuft in ihrem Rad. Als ich näher hinschaue, bemerke ich, dass Glorias Zuflucht für kleine Nager zu hundert Prozent belegt ist.
»Sehen Sie«, fordert Gloria mich
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