Stadt, Land, Kuss
auf. »Sie haben alle Futter und Wasser.«
Das stimmt, auch wenn das Wasser in den Flaschen und Schalen nicht gerade sauber aussieht und sich in den unterschiedlichen Behältnissen, die sie als Futternäpfe verwendet, mehr Hülsen als Körner zu befinden scheinen.
»Ich putze jeden Käfig mindestens einmal in der Woche, es sei denn, mir fehlt die Kraft dazu«, fährt Gloria fort. »Es geht mir in letzter Zeit nicht so gut.«
»Haben Sie jemanden, der Ihnen bei der Arbeit hilft?«
»Ich brauche keine Hilfe. Fifi sagte, ich würde es niemals ohne sie und den Tierschutzverein schaffen, aber es funktioniert wunderbar – sogar besser als früher, als sie sich ständig in alles eingemischt hat. Und ich brauche auch Ihre Hilfe nicht. Ich habe Sie nicht darum gebeten.«
»Lassen Sie uns jetzt nach den anderen schauen«, sage ich und ignoriere ihren Protest. Etwas gefügiger führt mich Gloria zurück in den Mittelgang, der auf beiden Seiten von begehbaren Käfigen gesäumt ist. Das Gebäude ist gut konzipiert, jeder Käfig besitzt einen Ausgang zum Freigelände, aber überall sind Zeichen der Verwahrlosung zu erkennen.
Die Bewohnerin des ersten Käfigs steht auf den Hinterbeinen und beginnt, zu miauen und mit den Pfoten gegen das Drahtgeflecht der Tür zu schlagen. Ein Wassernapf und ein von feuchter Streu überquellendes Katzenklo stehen auf dem Boden. Auf einem Brett über ihrem Kopf steht eine leere Waschschüssel, vermutlich ihr Schlafplatz.
Die Insassin des nächsten Käfigs hatte weniger Glück. Es ist eine dürre Schildpattkatze, die schwach atmend auf der Seite liegt und blicklos in die Ecke starrt, wo ein Sonnenstrahl durch eine Lücke zwischen Wand und Dach in den Raum fällt. Als ich die Käfigtür öffne und hineingehe, stößt sie den leisen, verzweifelten Klagelaut eines Tieres aus, dem nicht mehr zu helfen ist.
Was für ein jämmerliches Ende, denke ich bei mir, als ich mich zu Gloria umdrehe. Meine Stimme kratzt in meinem Hals. »Was ist hier los?«
»Das ist meine Molly.« Ihre Stimme zittert. »Sie ist schon seit einer Weile krank, aber sie sah so friedlich aus, dass ich sie nicht stören wollte. Ich wusste, was Sie sagen würden, wenn ich sie zu Ihnen in die Praxis gebracht hätte …«
»Ich denke, es ist Zeit, Molly gehen zu lassen, meinen Sie nicht?« Ich öffne meine Tasche. »Haben Sie ein Laken oder ein Handtuch hier, Gloria?«
Sie holt ein schmuddeliges Handtuch, und ich wickele Molly darin ein, bis nur noch ihr Kopf und ihre Vorderbeine herausschauen. Dann reiche ich sie an Gloria weiter, die sie festhält, während ich ihr eine Spritze gebe und sie von ihrem Leiden erlöse.
»Ich wünschte, sie würde ihre kleinen Augen schließen. « Gloria versucht, die Augenlider der Katze herunterzudrücken, doch sie öffnen sich immer wieder.
»Ich nehme sie mit in die Praxis.«
»Noch nicht.« Gloria liebkost die tote Katze und starrt zu mir auf, als wäre ich die Verrückte von uns beiden. »Ich verbringe gern noch etwas Zeit mit ihnen, um mich von ihnen zu verabschieden. Als ich noch Hilfe hatte, habe ich sie immer im Garten begraben.« Sie bedeckt den Kadaver mit dem Handtuch und legt ihn außen vor den Käfig. In der Zwischenzeit habe ich mir einen Überblick verschafft. Vierzehn weitere Katzen sind im Katzenhaus eingesperrt, außerdem sieben Hunde. Keinem der Tiere geht es so schlecht wie Molly.
Fünf der Hunde kommen schwanzwedelnd nach vorn gelaufen, um mich zu beschnüffeln. Zwei bleiben im hinteren Teil ihres Käfigs: ein wunderschöner weißer Schäferhund und ein großer, massiger Boxer, der ein Stück näher kommt, dann stehen bleibt, sich auf sein Hinterteil sacken lässt und wie wild an seinem Ohr zu kratzen beginnt, wobei er schmerzvoll aufjault.
»Wer ist das, Gloria?«
»Der Boxer? Ich nenne ihn Ugli-dog. Er ist schon so lange hier, dass er fast zum Inventar gehört. Ich behandle ihn mit einer Kräutertinktur von Mrs Wall wegen seiner Hautprobleme.«
Ich spähe angestrengt durch den Hühnerdraht. Ugli-dog ist in einem erbärmlichen Zustand. Seine Haut ist vernarbt und entzündet, und er ist so dünn, dass man jeden einzelnen Knochen erkennen kann.
»Der alte Mr Fox-Gifford hat gesagt: ›Gloria, dieser Hund ist ein hoffnungsloser Fall‹«, erklärt sie und stützt sich am Käfig ab. Erst jetzt fällt mir auf, dass Gloria genauso einsam und verhungert aussieht wie Ugli-dog.
»Er hat ihm Spritzen gegeben, aber davon wurde er so krank, dass wir mit der Behandlung
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