Stadt, Land, Kuss
für ein Leben?«
»Es würde zumindest deinen Rücken schonen.« Eine Frau tritt zu Clive hinter die Theke. Sie ist eine auffällige Erscheinung, größer als Clive, mit dunklen Augen, einer leichten Hakennase und langem schwarzem, von silbernen Strähnen durchzogenem Haar. »Ich bin Edie.« Sie streckt mir die Hand entgegen. Der Ärmel ihres lilafarbenen Kleids rutscht zurück und gibt den Blick auf ein schlankes weißes Handgelenk frei. »Und Sie müssen Maz sein, die Tierärztin.« Sie wendet sich wieder Clive zu. »Rede mit dem armen Mädchen nicht über die Arbeit, solange es hier ist.«
»Aber Maz hat nichts dagegen …«
»Ihnen geht es vermutlich genau wie uns, Maz«, sagt Edie. »Sie kommen nicht oft aus Ihrer Praxis heraus, und wenn Sie doch einmal freihaben, werden Sie gleich von Leuten wie meinem Mann belagert, die endlos über ihre Hunde reden. Er ist von seinem alten Robbie geradezu besessen. Ehrlich gesagt, ich bin mir sicher, dass er ihn mehr liebt als mich.«
»Wundert dich das?«, scherzt Clive. »Robbie kommandiert mich ja auch nicht herum.«
Edie wird wieder ernst. »Robbie hat in letzter Zeit häufiger unter sich gemacht – ich nehme an, das hat mein Mann Ihnen verschwiegen.«
»Ich putze das immer sofort weg«, sagt Clive, und seine Stimme klingt abwehrend. »Ab einem gewissen Alter passiert doch jedem hin und wieder mal ein Unfall. Du kannst ein Tier doch nicht einschläfern, nur weil es etwas lästig wird.«
»Ich denke dabei an Robbie. Was glaubst du, wie er sich fühlt, wenn er immer mehr von seiner Würde verliert? «, fragt Edie. »Was meinen Sie, Maz?«, fügt sie hinzu, was mich in eine gewisse Verlegenheit bringt, denn ich spüre die Anspannung zwischen den Eheleuten. Was würde ich tun, wenn Robbie mein Hund wäre? Ab wann ist ein Leben nicht mehr lebenswert?
Ich sehe zu Robbie hinüber, der ein Spielzeug ins Maul genommen hat und jetzt hoffnungsvoll zu uns herüberschaut und darauf wartet, dass sich jemand mit ihm beschäftigt.
»Ich würde sagen, im Moment hat er noch keine Schmerzen«, antworte ich taktvoll. »Aber Sie beide kennen Robbie besser als ich. Sie werden wissen, wann die Zeit gekommen ist.«
»Danke, Maz.« Ich kann Clives erleichtertes Seufzen beinahe hören, auch wenn ich fürchte, Edie verärgert zu haben, indem ich mich auf seine Seite gestellt habe. Sie hat wahrscheinlich endgültig genug von der Sauerei, vor allem in ihrem gut besuchten Pub. Ein stinkender alter Hund – tut mir leid, Robbie – ist das Letzte, was sie hier gebrauchen können.
»Ich höre Schellen – die Morristänzer sind da.« Edie wirft Clive ein Spültuch zu. »Ich muss zurück in die Küche. Und du beeilst dich jetzt besser und wechselst das Fass aus.«
Ich gehe zurück zu Miff, die überglücklich ist, mich wiederzusehen. Winselnd springt sie auf und ab und wedelt freudig mit dem Schwanz. Wenigstens sie hat mir endlich verziehen, dass ich nicht Emma bin.
Ich setze mich mit meinem Glas an den Tisch und sehe zu, wie die Männer und die Frauen der Morristanztruppe lautstark die anderen Gäste begrüßen, während gefühlt ein paar Hundert Kinder auf dem Klettergerüst herumtoben.
Die Begleitmusiker der Tänzer stimmen ihre Fiedeln nach einem alten Akkordeon, und Clive kommt mit einem Tablett voller überschwappender Biergläser aus dem Pub. Dann beginnt unter Stockschwingen und Schellengeklirr der Tanz. Nigel winkt mir kurz zu, als er mich bemerkt, während er vor und zurück hüpft, wie wenn mit seinem Knie alles in bester Ordnung sei, und in jeder Hand ein Taschentuch herumwirbelt.
Verbringen die Einwohner von Talyton tatsächlich so gerne ihren Sonntagabend?
Ich vermisse die Möglichkeit, spontan mit Freunden – ich gebe zu, die meisten von ihnen waren Kollegen von Crossways – zum Essen zu gehen. Und ich vermisse meine Studentenzeit. Emma war eine richtige Partynudel. Sie konnte aus dem Nichts heraus eine Party veranstalten. Ich starre in die Tiefen meines Glases und erinnere mich an das eine Mal, als die Gäste Knoten aus Darmfäden im Punsch fanden. Wir hatten tags zuvor an den Orangen geübt, wie man Wunden näht, und Emma hatte sie hineingeschnitten, ohne sie vorher noch einmal anzuschauen.
Ich komme mir vor wie auf dem Präsentierteller, als ich so allein dasitze, und mir ist bewusst, dass ich nicht den besten Start hatte. Hin und wieder sieht ein Fremder zu mir herüber, und ich frage mich, wie viele von ihnen wohl Cheryls Plakate gesehen haben und meine
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