Stadt, Land, Kuss
Entschuldigung ist meiner Auffassung nach nicht gleichbedeutend mit dem Eingeständnis, einen Fehler gemacht zu haben, und selbst wenn, wäre mir das im Moment egal.
»Sagen Sie jetzt nicht, Sie konnten leider nichts mehr für ihn tun. Und versuchen Sie ja nicht, mir die Schuld in die Schuhe zu schieben, weil ich den Termin gestern verpasst habe. Sie ganz allein sind schuld.« Stewart sieht sich im Empfangsbereich um. »Der alte Fox-Gifford hatte recht – was nützt die schicke Ausstattung, wenn Sie nicht damit umgehen können? Sehen Sie sich doch an – Leuten wie Ihnen geht es immer nur ums Geld.«
Ruhig bleiben, ermahne ich mich.
»Als Erstes müssen wir herausfinden, woran genau er gestorben ist«, sage ich.
Stewart kommt drohend auf mich zu, sein Gesicht ist knallrot vor Wut. »Ihre verfluchte Nachlässigkeit hat ihn umgebracht.«
»Ich würde gern eine Obduktion durchführen«, erwidere ich, ohne zurückzuweichen.
»Das kann ich mir vorstellen, aber ich werde Ihnen bestimmt nicht die Gelegenheit geben, Ihre Fehler zu vertuschen.« Stewart holt sein Handy aus der Tasche. »Das soll Alex übernehmen.«
Ich warte, bis er Alex erreicht und ihn gebeten hat, so schnell wie möglich hierher in die Praxis zu kommen. Dann biete ich ihm Tee an.
»Auf keinen Fall«, erwidert Stewart. »Davon müsste ich kotzen.«
»Möchten Sie ihn noch einmal sehen?« Mein Herz schlägt dumpf wie ein Metronom gegen meine Rippen.
Stewart starrt mich eisig an. »Warum sollte ich ihn noch einmal sehen wollen? Er ist doch tot, oder nicht? Sie haben ihn umgebracht.«
Ich hatte mich ohnehin davor gefürchtet, Alex wiederzusehen, aber die Umstände könnten nicht furchtbarer sein. Ich würde vor Scham am liebsten im Erdboden versinken.
»Ich bin sofort gekommen, um die Sache hinter mich zu bringen.« Alex blickt von Cadburys Körper auf. Sein Mund und seine Nase sind hinter einer Maske verborgen. »Ich soll morgen früh für meine Mutter ein Pferd prüfen, und am Nachmittag muss ich zu mehreren Hausbesuchen und einem Springlehrgang.«
Es war schon nach elf, als er kam. Er unterhielt sich kurz mit Stewart, ehe dieser auf seinen Hof zurückfuhr, um seine Schwiegermutter abzulösen, die auf die Jungs aufpasste.
»Brauchen Sie etwas?«, frage ich kurz angebunden. Ich habe Izzy sofort nach Hause geschickt, nachdem ich sie endlich gefunden hatte. Sie saß draußen im Dunkeln auf der alten Schaukel am Baum hinten im Garten.
Alex schüttelt den Kopf.
»Dann lasse ich Sie jetzt allein …« Als ich rückwärts auf die Tür zugehe, löse ich meine Hände voneinander und bemerke die roten Halbmonde, die meine Nägel ins Fleisch gedrückt haben.«
»Nein, Sie müssen bleiben«, sagt Alex. »Es soll mir später niemand vorwerfen können, ich hätte heimlich Beweise manipuliert.«
»Das würde ich nie tun!«, erwidere ich wütend, weil ich annehme, dass er mich damit meint. Unsere Blicke begegnen sich, und ich wünschte, es wäre nicht so. Ich wünschte, ich könnte die Zeit um einen Monat zurückdrehen und noch einmal von vorn anfangen. Am liebsten würde ich mein ganzes verpfuschtes Leben noch einmal von vorn anfangen …
»Sie vertrauen mir nicht«, sagt Alex schroff und wendet sich wieder Cadburys Darm zu. Er zieht ihn vollständig aus dem Körper heraus und breitet ihn auf dem Tisch aus. Es sieht nicht aus wie bei den Rechtsmedizinern im Fernsehen – in Wahrheit ist das eine viel schmutzigere Angelegenheit.
Alex deutet auf den Darmbereich. »Hier, wo Sie den ursprünglichen Schnitt gesetzt haben, gibt es keine Probleme – die Wunde ist gut verheilt.«
»Ich habe eine Spiderman-Figur aus Plastik und einen Slip entfernt«, sage ich, während er weitersucht.
»Ah, da ist es.« Ich registriere den leichten Anstieg in Alex’ Stimme, als er findet, wonach er gesucht hat. Ich mache ihm daraus keinen Vorwurf, bei mir klingt es auch immer so. »Hier ist eine reaktive Entzündung der Darmwand, hier auch, und hier ist sie vollständig zerstört«, fährt er fort. »Dadurch konnte der Darminhalt austreten, was zu der Bauchfellentzündung führte. Nachdem die Infektion einmal in die Blutbahn gelangt war, hatte er keine Chance mehr.«
»Er muss qualvoll gestorben sein.« Ich bringe es nicht über mich, Alex anzusehen. Warum habe ich nicht bemerkt, wie krank Cadbury war? Ich versuche das Bild zu verdrängen, wie er an meinem ersten Tag im Otter House ins Sprechzimmer gehüpft kam. Er war so fröhlich, so lebendig … Ich fühle noch immer
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