Stadt, Land, Kuss
schließlich muss ich ja davon ausgehen, dass er noch immer mit Eloise zusammen ist.
Am nächsten Morgen habe ich Magenkrämpfe und Kopfschmerzen. Ich fühle mich nicht in der Lage, unter Menschen zu gehen, aber mir bleibt nichts anderes übrig. Ich bin Emmas Vertreterin. Ich muss ihr Team mobilisieren und das Otter House am Laufen halten.
Mit einer Tasse starkem Kaffee bewaffnet gehe ich nach unten. Izzy ist im Vorbereitungsraum.
»Äh … hallo«, sage ich. »Wie geht es Ihnen?«
Sie dreht sich zu mir um, die Augen vom Weinen und Schlafmangel geschwollen. »Was glauben Sie denn?«
Ich nicke, und beim Gedanken an Cadbury fällt mir auf, dass der Kadaver, den ich gestern Abend auf dem Tisch liegen gelassen habe, weil ich nicht wusste, was ich sonst damit tun sollte, nirgends zu sehen ist.
»Wo ist der … äh … Sie wissen schon?«, frage ich, halb hoffend, dass Stewart ihn schon abgeholt hat.
»In der Tiefkühltruhe.«
»Sie haben noch nicht entschieden, was sie mit ihm machen wollen«, gebe ich leise zu bedenken.
»Wenn sie ihn zurückhaben wollen, müssen wir ihn eben wieder rausholen, damit er auftaut. Ich will keine toten Tiere in der Praxis herumliegen haben.« Izzy räumt weiter auf, wirft Instrumente ins Becken und knallt die Tür des Autoklavs hinter der ersten Ladung zu. Ich vermute, ihr Wunsch, den Kadaver zu verstecken, hat mehr damit zu tun, dass sie nicht mehr an Cadburys Tod erinnert werden will. Außerdem glaube ich, dass sie mir zumindest teilweise die Schuld dafür gibt.
»Hallo«, sagt eine Stimme von der Tür her.
Ich drehe mich um. »Alex … Hallo …«
Hinter mir fängt Izzy an, die Instrumente im Becken herumzuschleudern, und wirbelt dabei Dampf und winzige Schaumbläschen auf.
»Du siehst furchtbar aus«, sagt Alex.
»Vielen Dank.«
»Das war nicht negativ gemeint, Maz. Ich meinte …«
»Schon gut.« Ich lächle schwach. Er hat ja recht. Ich habe kaum geschlafen, und die Ringe unter meinen Augen sind so groß wie Wagenräder. Alex hingegen steht der Schlafmangel offensichtlich gut. Er scheint auch überhaupt kein schlechtes Gewissen zu haben, weil er mich geküsst hat, während er gleichzeitig mit Eloise zusammen ist.
»Nein, nicht gut.« Er fährt sich mit einer Hand durch das feuchte Haar, wahrscheinlich kommt er gerade frisch aus der Dusche. »Eigentlich wollte ich dir doch ein Kompliment machen.«
»Wenn das so schwierig ist, würde ich an deiner Stelle aufhören, mir Gedanken darüber zu machen.« Ich weiche ein Stück zurück und versuche, in Izzys Gegenwart Distanz zu ihm zu wahren, aber er kommt noch näher und sieht mir unverwandt ins Gesicht.
»Also«, er senkt die Stimme, »was ich eigentlich sagen wollte, ist: Ganz egal, wie mitgenommen du aussiehst, ich finde dich immer bezaubernd.«
Ich höre, wie etwas klappernd zurück ins Becken fällt, eine Schere vielleicht.
»Danke«, entgegne ich liebenswürdig, obwohl ich ihm nicht so recht glaube. »Komm mit.« Hastig lotse ich ihn zurück in den Flur und weiter in den Personalraum, wo Izzy uns nicht mehr hören kann.
»Habe ich dich in Verlegenheit gebracht?«, fragt Alex.
»Ja, ein bisschen.«
»Tut mir leid.« Er lächelt und wechselt das Thema. »Izzy ist wie ein wirbelnder Derwisch, findest du nicht? Ich habe neulich mit Chris Hunter über sie gesprochen – ich war auf seinem Hof und habe mir ein paar seiner Schafe und den neuen Hund angeschaut. Freddie, nicht wahr? Chris sagt, du und Izzy, ihr hättet Freddie das Leben gerettet.«
»Ja.« Ich weiß, was er damit beabsichtigt. Er versucht, mich zu trösten, aber dadurch erinnert er mich nur an Cadbury und daran, dass ich schuld an seinem Tod bin. »Hast du schon mit Stewart oder Lynsey gesprochen?«
»Ja, und ich fürchte, Stewart ist nicht gerade in versöhnlicher Stimmung. Er weiß, dass er eine Mitschuld an Cadburys Tod trägt, doch er ist noch nicht bereit, das zuzugeben.«
Ich starre auf die Spitzen meiner Crocs. Was für ein verdammter Mist.
»Er wird sich schon wieder beruhigen.« Alex streckt die Hand aus und streichelt meinen Arm. »Ich weiß, du fühlst dich gerade mies, aber das geht auch wieder vorbei, Maz.«
Ich genieße seine Berührung und möchte nichts tun oder sagen, was diesen Augenblick verderben könnte. Wortlos schaue ich zu ihm auf. Alex sieht mich an, und in seinen wunderschönen blauen Augen spiegelt sich Sorge. Mein Puls schlägt aus und springt herum wie ein bockiger Esel.
»Mir ist schon viel Schlimmeres passiert«, sagt
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