Stadtfeind Nr.1
sehe ich Sammy am Rand des Sprungbretts stehen, der sich gespielt in die Pose eines Bodybuilders wirft, bevor er ins Wasser springt. Aber als er wieder auftaucht, merke ich, dass ich mich getäuscht habe. Es ist Wayne, nicht Sammy, der jetzt mit kräftigen Zügen durch den Pool schwimmt. Ich rufe ihm zu, verwundert darüber, dass er seine Gesundheit offenbar wiedererlangt hat, aber er ist zu sehr in sein Schwimmen vertieft, um mich zu hören. Und dann steige ich auf eines dieser frustrierenden Laufbänder, wie es sie nur im Traum geben kann, auf dem ich laufe und laufe, den Rand des Pools aber offenbar einfach nicht erreichen kann. »Wayne!«, brülle ich. »Ich bin's.« Er hält mitten in seinen Schwimmzügen inne und tritt Wasser, während er seine Blicke durch die Menge schweifen lässt, aber obwohl ich wie wild gestikuliere, kann er mich nicht entdecken. Schließlich zuckt er die Schultern und steigt aus dem Pool. Lucy steht aus ihrem Liegestuhl auf, reicht ihm ein Handtuch, und sie küssen sich, ein tiefer, lustvoller Kuss, der natürlich völlig unlogisch ist. Dann wendet er sich ab und geht genau an mir vorbei, wieder achtzehn Jahre alt und glitzernd und kräftig und voller Leben.
»Wayne«, sage ich. Er dreht sich um und sieht mich an, als sähe er mich zum ersten Mal. Kleine Wassertropfen hängen an seinen Ohrläppchen und seiner Nase. »Ich bin's -Joe.« Ich bin verwirrt und orientierungslos, aber mehr als alles andere bin ich von Dankbarkeit überwältigt, dass er nicht mehr krank ist, dass wir wieder Freunde sein können, wie in alten Zeiten. Er sieht mich düster an und nickt langsam. »Joe.«
»Ja.«
Er grinst sein altes spöttisches Grinsen. »Da ist ein Anruf für dich.«
»Was?«
»Hör doch.«
Ich tue es, und ich höre eindeutig ein Telefon klingeln. Und kaum habe ich begriffen, dass das Klingeln kein Teil des Traums ist, ist der Traum verschwunden, und das Telefon weckt mich auf.
Ich liege ausgestreckt an meinem Schreibtisch, das Gesicht klebt mit Speichel an meinem Arm, und mein Nacken ist steif, nachdem ich schief in meinem Sessel geschlafen habe. Das Zimmer ist von den sanften Farben und Schattierungen des indirekten Sonnenlichts erfüllt. Ich bin leicht verwundert darüber, dass ich an meinem Schreibtisch so tief geschlafen habe, und noch immer gequält von den lebhaften Bildern meines Traums.
»Es ist Wayne«, sagt Carly, als ich das Telefon abnehme, und ich frage mich benebelt, woher sie es weiß, da sie doch gar nicht in dem Traum war.
»Was?«, sage ich und richte mich langsam auf. »Carly? Wie spät ist es?«
»Es ist halb elf«, drängt sie mich mit verzweifelter Stimme, endlich aufzuwachen. »Joe, Wayne ist oben auf dem Dach der Highschool.«
Ich versuche sie zu begreifen, aber irgendetwas rastet nicht ein. »Könntest du das noch einmal sagen?« Ich benutze meine Finger, um mir das Bewusstsein durch meine Augäpfel ins Gehirn zu reiben.
»Wayne ist auf dem Dach der Highschool«, wiederholt Carly ungeduldig. »Wir müssen hinfahren.«
»Das ist schon okay. Wir sind früher immer dort hinaufgeklettert. Er wird nicht hinunterfallen.«
Eine Pause tritt ein. »Ich mache mir keine Sorgen, dass er hinunterfallen könnte, Joe.«
Ich stehe im Wohnzimmer meines Vaters auf, mit einem Mal hellwach. »Ich bin schon unterwegs.«
»Ich bin schon in meinem Wagen«, sagt sie. »Ich hole dich in fünf Minuten ab.«
»Du glaubst doch nicht, dass er wirklich springen würde, oder?«
»Nein, das glaube ich nicht. Aber es würde ihm richtig ähnlich sehen, uns überraschen zu wollen.«
An der Highschool ist bereits die Hölle los, als wir in Carlys Honda vorfahren. Die Schüler wimmeln scharenweise in heller Aufregung umher, während die Lehrerschaft vergebliche, halbherzige Anstrengungen unternimmt, die Menge in Schach zu halten. In der Zwischenzeit versuchen Hilfssheriffs, hölzerne Sägeböcke aufzustellen, um den Bereich genau unterhalb der Kuppel des Gebäudes abzusperren. Ein Feuerwehrwagen und ein paar Rettungsfahrzeuge parken in willkürlichen Winkeln am Straßenrand; zwei Übertragungswagen lokaler Nachrichtensender mit Satelliten-Uplink-Ausrüstung auf den Dächern haben sich auf den Gehsteig gestellt, und ihre Crews wuseln um die Promenade vor der Schule herum und versuchen, das Chaos für die Abendnachrichten einzufangen. Oben auf dem Gebäude, nach hinten gegen die Kuppel gelehnt und eine Zigarette rauchend, sitzt Wayne. Er ist zu hoch oben, als dass ich seinen
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