Stadtfeind Nr.1
schuld war. Wie es in dem Song heißt: Wir haben einfach versucht, dieses Feuer zu atmen.« Waynes Stimme bricht für einen Augenblick, und seine Augen füllen sich mit Tränen. »Sammy«, sagt er, »ich habe beschlossen, mir in deinem Namen zu vergeben, da du ja nicht mehr da bist, um es zu tun. Ich hoffe, das ist okay für dich, und wenn nicht, Pech gehabt. Ich nehme an, das hättest du dir überlegen sollen, bevor du beschlossen hast, dich umzubringen. Und wenn ich schon einmal dabei bin, werde ich auch unserem Freund Joe in deinem Namen vergeben. Ich bin mir nicht sicher, weswegen, aber er scheint zu glauben, dass er es braucht.«
Wayne nimmt noch einen Schluck Wein und sieht dann mit einem matten Grinsen zu mir hoch. »Wie war das?«
Ich kann spüren, wie meine eigenen Augen zu tränen beginnen. »Das war okay«, sage ich,
Wayne legt ein paar Blumen am Fuß des Grabes ab, und wir gehen zurück in Richtung Wagen. Eine Zeit lang fahren wir schweigend; der Wagen ist erfüllt von der Schwere unserer Gedanken. »Joe?«
»Ja.«
»Hattet ihr beide, du und Carly, einen Song?«
Ich sage schon fast Nein, als es mir auf einmal wieder einfällt. »Wir hatten einen. Ich kann gar nicht glauben, dass ich es vergessen habe.«
»Was war es?«
»No One Is to Blame. Howard Jones.«
Wayne sieht mich an, und wir lächeln beide. »Da hattet ihr einen guten Song«, sagt er leise und lehnt den Kopf gegen den Sitz. »Da hattet ihr wirklich einen verdammt guten Song.«
31
Als ich gegen drei Uhr nach Hause komme, treffe ich Brad im Arbeitszimmer an, wie er zurückgelehnt im Schreibtischsessel sitzt und eine der Pfeifen meines Vaters raucht. »Hey, Joe«, sagt er und sieht verlegen auf, als ich das Zimmer betrete. Er legt die Pfeife auf dem Aschenbecher ab und grinst mich betreten an. »Entschuldige. Ich wollte nur noch einmal diesen Geruch riechen.«
»Er fehlt dir sehr, stimmt's?«
Brad nickt. »Ich kann einfach nicht glauben, dass er nicht mehr da ist, weißt du?« »Ja.«
Brad schüttelt den Kopf, als wollte er ihn auf diese Weise klar bekommen. »Ich wollte über etwas mit dir reden. Hast du eine Minute Zeit?« »Klar.«
Er sieht mich über den Schreibtisch an, nicht sicher, wie er anfangen soll. »Dad hat kein Testament verfasst. Ich glaube, er hat nicht gedacht, dass er je sterben würde.« »Okay.«
»Ohne Testament sind du und ich die gesetzlichen Erben, zu einer gleichmäßigen Aufteilung seines gesamten Vermögens berechtigt, das im Wesentlichen aus diesem Haus, der Firma und einem Investmentportfolio im Wert von rund zweihunderttausend Dollar besteht.«
Ich kann erkennen, worauf er hinauswill, und ich bin entschlossen, ihm sofort den Wind aus den Segeln zu nehmen. »Brad, ich will nichts von Dads Geld. Ich brauche es nicht, und außerdem hast du es dir verdient. Ich bin sicher, er würde wollen, dass du es bekommst.«
Brad nickt und kneift die Lippen zusammen. »Es ist nur, im Augenblick stecken wir ein bisschen in der Klemme, weißt du. Die Firma ist im Arsch, und ich muss für Jared ans College denken.«
»Brad, wirklich. Verlier kein Wort mehr darüber.«
Aber er ist noch nicht fertig. »Cindy und ich«, sagt er. »Wir haben Probleme.«
»Geldprobleme?«
Er zuckt die Schultern. »Ich dachte immer, wir hätten nur Stress wegen des Geldes. Aber inzwischen glaube ich, dass es viel tiefer geht.«
»Redet ihr von Scheidung?«
»In letzter Zeit reden wir eigentlich überhaupt nicht mehr.«
»Es tut mir Leid, das zu hören«, sage ich mitfühlend. Ich warte darauf, dass er mehr sagt, aber er scheint um Worte verlegen, wofür ich volles Verständnis habe. Brad vertraut sich mir an, und ich habe mit einem Mal schreckliche Angst vor der Aussicht einer solchen Intimität, auch wenn ich weiß, dass es etwas Gutes ist, ein Weg zu einer besseren Beziehung. Ich denke, wir kommen uns beide wie Hochstapler vor, die sich als die Art Brüder geben, die über bedeutsame Dinge miteinander reden. Ich frage mich, ob er mit mir über Sheila reden wird, darüber, wie lange das schon läuft und ob es eine Ursache oder eine Folge seiner Eheprobleme ist. Wenn das Gespräch diese Wendung nehmen sollte, dann bin ich, trotz allen familiären Unbehagens, dabei. Aber Brad scheint alles gebeichtet zu haben, was er mir beichten will, und jetzt lehnt er sich einfach in seinem Sessel zurück und blickt kläglich drein. Ich könnte ihn fragen, nehme ich an, ich könnte die Karten offen auf den Tisch legen und ihm sagen, dass ich ihn im
Weitere Kostenlose Bücher