Stadtfeind Nr.1
glauben, dass du Mrs. Haber gevögelt hast.«
»Ich auch nicht.«
»Wie war es?«
»Unwirklich.«
»Das möchte ich wetten«, sagt er mit einem Kopfnicken. »Und was ist mit Carly?«
»Was soll mit ihr sein?«
Wayne schenkt mir einen liebevoll fragenden Blick. »Du bist dir doch wohl darüber im Klaren, dass du eigentlich hättest mit Carly schlafen und den Lunch mit Mrs. Haber haben sollen, oder?«
»So hätte man es auch machen können.«
Wayne lächelt. »Immer so umständlich wie möglich.«
»So bin ich eben.«
Er greift in meine CD-Sammlung und wählt Born to Run aus. »Zu Sammys Gedenken«, sagt er und legt die CD ein. Wir sitzen schweigend da und hören zu, wie sich Thunder Road langsam aufbaut und Springsteens kratzige Stimme davon singt, wie du dich unter deiner Decke versteckst, um deinen Schmerz zu begutachten.
Wayne wartet im Wagen, während ich mir von der Frau, die allein im Friedhofsbüro arbeitet, einen Plan mit den Koordinaten von Sammys Grab geben lasse. Wir kurven durch ein Labyrinth von Zufahrtsstraßen, bis wir die ungefähre Gegend erreicht haben, und parken den Wagen. Wayne hat einen tragbaren CD-Player, eine Flasche Wein und zwei Gläser mitgebracht. Wir setzen uns neben Sammys Grab ins feuchte Gras, und Wayne schenkt uns beiden ein Glas ein. »Auf Sammy«, sage ich und hebe lächelnd mein Glas.
»Auf Sammy«, sagt Wayne, und wir schlürfen unseren Wein. Er drückt eine Taste auf dem CD-Player, und Springsteen beginnt Bachtreets zu singen. »Das war unser Song«, sagt Wayne leise und schließt die Augen, während er der Musik lauscht.
»Bachtreets war euer Song?« »Wieso denn nicht Bachtreets?«
»Ich weiß nicht. Die meisten Pärchen, die ich auf der Highschool kannte, hatten Songs wie Can 't Fight This Feeling oder Glory of Love oder In Your Eyes , weißt du? Romantische Songs.«
»Wir waren keine Romantiker«, sagt Wayne düster. »Wir waren völlig verzweifelt und am Ende. Und darum geht es in Bachtreets.« Er schweigt einen Augenblick, nickt mit dem Kopf und wiegt sich leicht zur Musik. »Er singt von diesen zwei Typen, die vergeblich versuchen, das Feuer zu atmen, in dem sie geboren sind. Nach all den Jahren ist das immer noch die beste Beschreibung, die ich je gehört habe, für das, was wir in diesem Sommer durchgemacht haben, dafür, wie es sich anfühlt, jung und schwul zu sein.«
Ich versuche etwas mehr auf den Text zu achten, was bei Bruce' kratziger, gemurmelter Wiedergabe und den lauten Gitarren und Drums, die ihn ständig übertönen, nicht einfach ist. Für mich klingt es nicht wie ein Song über schwule Liebe, aber ich nehme an, wir hören alle sowieso nur das, was wir hören wollen.
»Also«, sagt Wayne und schaltet den CD-Player aus, als der Song zu Ende ist. »Möchtest du vielleicht ein paar Worte sprechen?«
»Mir war nicht bewusst, dass es sich um eine förmliche Zeremonie handelt.«
Er trinkt mir zu. »Wein und Musik«, sagt er. »Entweder das, oder wir haben ein Date.«
Ich denke einen Augenblick darüber nach, weil Wayne offenbar unbedingt will, dass ich etwas sage. »Sammy war ein guter und treuer Freund«, beginne ich.
»Er war doch nicht dein Hund Skip«, unterbricht mich Wayne ungeduldig. »Und außerdem ist er seit siebzehn Jahren tot. Für Lobreden ist es ein bisschen spät.«
»Was soll ich denn deiner Ansicht nach sagen?«
»Teile einfach deine Gedanken mit mir.«
»Mein Kopf ist völlig leer. Fang du an.«
»Na schön.« Wayne nippt nachdenklich an seinem Wein. »Lange Zeit habe ich Sammy die Schuld an meinem Schwulsein gegeben. Ich dachte, ich hätte leicht eine von beiden Richtungen einschlagen können und dass er einfach nur zum richtigen Zeitpunkt in meiner Jugend auftauchte, um mich für immer in die eine Richtung zu drängen. Ich weiß, dass das Schwachsinn ist, aber ich habe ihn gehasst; selbst während ich ihn begehrte, habe ich ihn dafür gehasst, dass ich durch ihn zu einem Freak wurde. Ich dachte, wenn er nicht aufgetaucht wäre, hätte ich irgendwann ein Mädchen kennen gelernt, das mich angetörnt hätte ... Ich weiß nicht. Ich war ein Kind, stimmt's?«
»Wir waren alle Kinder«, sage ich.
»Jedenfalls«, fährt Wayne mit dumpfer Stimme fort, während er auf Sammys Grabstein starrt, »kommt es mir vor, als hätte ich mein ganzes Erwachsenenleben damit zugebracht, zu hassen - erst Sammy und dann an seiner Stelle mich selbst dafür, dass ich dumm genug war, ihn für etwas zu hassen, an dem ganz offensichtlich niemand
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