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Stadtfeind Nr.1

Stadtfeind Nr.1

Titel: Stadtfeind Nr.1 Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jonathan Tropper
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abwendet und davonstürmt. Ich bin zu beschäftigt damit, mir zu überlegen, ob das, was ich in genau diesem Augenblick empfinde, gerechte Empörung ist oder nur wutentbranntes Selbstmitleid.
    Carly taucht gegen drei auf und bringt Mouse zur Vernunft, indem sie ihm mit einer Reihe von Leitartikeln über die fragwürdigen Praktiken und die offenbar zahlreichen Unzulänglichkeiten der Polizei droht. Zu diesem Zeitpunkt bin ich bereits ein Häufchen Elend, fühle mich zutiefst allein und allgemein verachtet. »Wie geht's Wayne?«, frage ich sie, als wir die Stufen des Polizeireviers hinuntergehen. Sie ist noch immer so angezogen wie heute Morgen, aber irgendwo bei ihren Unternehmungen ist ihr die Haarspange abhanden gekommen, und jetzt hängt ihr das Haar in einem losen Wirrwarr um die Schultern.
    »Er ruht sich zu Hause aus«, sagt sie und sieht mich dann von der Seite an. »Habt ihr beide darüber gesprochen, dass er bei dir einziehen will?«
    »Ja.«
    »Na ja, ich hoffe, du hast es ernst gemeint, er hat nämlich vor, es bald zu tun.«
    »Gut«, sage ich geistesabwesend, als wir die Ecke erreichen. »Wo steht dein Wagen?«
    »Noch immer an der Highschool«, sagt Carly. »Wo
    steht deiner?«
    »Zu Hause. Du hast mich abgeholt, erinnerst du dich?« »Ach ja. Mein Gott, das scheint eine Ewigkeit her zu
    sein.«
    Wir beginnen ziellos um den Block zu laufen. »Die Zeit hat sich seltsam benommen, seit ich hierhergekommen bin«, sage ich. »Wie das?«
    »Na ja, ich bin erst eine knappe Woche hier, aber es kommt mir schon wie Monate vor. Und die Tage damals, als ich hier lebte, vor all der Zeit, erscheinen mir jetzt viel unmittelbarer als je zuvor, wohingegen die letzten siebzehn Jahre auf der Landkarte meines Lebens offenbar nur dieses winzige Gebiet einnehmen. Nur eine kleine gelbe Schraffierung in der Legende, um meine Zeit nach Falls
    zu markieren.«
    Carly wirft mir einen komischen, zärtlichen Blick zu, der ein paar Sekunden anhält. »Du bist sehr unglücklich gewesen, stimmt's?«
    »Eigentlich nicht.« Dann denke ich einen Augenblick darüber nach. »Und damit meine ich, ich nehm's an. Ja.«
    Sie wendet sich zu mir um und legt mir sanft eine Hand seitlich ans Gesicht, eine solch liebevolle und völlig unerwartete Geste, dass ich mich unter ihr fast biege und zusammenbreche, aber stattdessen zittere ich nur still, während das Gefühl über mich hinweg strömt. Als mein Zittern noch offenkundiger wird, muss mir Carly mit der anderen Hand Halt geben und sie auf die andere Gesichtshälfte legen. Auf diese Weise wiegt sie meinen Kopf eine Minute lang und starrt mich gebannt an, als würde sie durch meine Augen hindurch an meiner Seele Maß nehmen. Dann wird ihr eigener Blick verschwommen, und sie sagt: »Oh, Scheiße«, und ihre Hände gleiten in einer zärtlichen Geste an meinem Gesicht nach unten, und sie tritt einen Schritt vor und legt die Arme um mich. »Scheiße«, sagt sie noch einmal, während sie leise, fast unmerklich in meine Schulter weint. Ich mache den Mund auf, um etwas zu sagen, und mache ihn dann in einem seltenen Akt der Beherrschung entschlossen wieder zu. Ich traue es mir nicht zu, diesen Augenblick zu bewahren. Stattdessen vergrabe ich nur mein Gesicht in ihrem Haar und halte sie fest, als würde mein Leben davon abhängen.
    In einvernehmlichen Schweigen machen wir uns auf den Weg zurück zum Haus meines Vaters, während unsere privaten Gedanken spürbar um uns kreisen und unsere Körper sich nah genug sind, um ein elektrisches Feld aufzubauen, das jedes Mal wie ein Insektenfänger kribbelt, wenn sich unsere Beine beim Gehen zufällig berühren. Dieses Ding zwischen uns, diese unsichtbare Kugel aus Wut und Angst, die unheilvoll in der Luft schwebte, seit ich nach Falls gekommen bin, scheint sich endlich verflüchtigt zu haben, und an ihrer Stelle wartet eine warme Leere darauf, ausgefüllt zu werden. Angesichts meiner Erfolgsquote in der letzten Zeit müsste ich schön blöd sein, der Erste zu sein, der versucht, sie auszufüllen.
    Sobald wir das Haus meines Vaters erreicht haben, fahren wir mit meinem ramponierten Mercedes zur Highschool, um Carlys Wagen zu holen. Ich halte neben ihrem Honda an und lege die Park-Stellung ein. Die Schule ist zwar bereits aus für diesen Tag, aber eine Hand voll Schüler hängt immer noch in kleinen Grüppchen auf den Stufen herum oder sie hocken pärchenweise knutschend und fummelnd auf den Motorhauben irgendwelcher Autos. »Gott«, sage ich. »Erinnerst du dich noch

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