Stadtfeind Nr.1
Schreie aus der Menge hoch, und mir wird bewusst, dass Jareds Beine über den Rand des Gebäudes baumeln. »Kommst du gefälligst hoch!«, sage ich und hieve ihn auf die Leiste.
»Wer ist das denn?«, sagt Wayne.
»Jared Goffman«, sagt mein Neffe und streckt eine Hand in Waynes Richtung aus.
»Brads Kind.«
»Das ist mein Privileg«, sagt Jared. »Also, was machen wir jetzt hier oben, außer zwischen dem Vogeldreck von mehreren Jahrzehnten zu sitzen?«
»Ich dachte, ich hätte dir gesagt, an der Treppe auf mich zu warten«, sage ich.
»Ich bin ein Kind. Mir wird schnell langweilig.« Er setzt sich gegen die Kuppel gelehnt neben Wayne und zündet sich eine seiner eigenen Zigaretten an. »Du bist ganz schön krank, was?«, sagt er ernst.
»Kränker geht's nicht«, sagt Wayne.
»Was bist du, dreißig?«
»Vierunddreißig.«
»Verdammt«, sagt Jared aufrichtig. »Das ist aber ein ganz schön großer Bissen aus dem Scheiße-Sandwich.«
Wayne scheint aufrichtig amüsiert von dem Idiom. Ich werfe ihm einen gespielt entschuldigenden Blick zu. »Du weißt ja, was man sagt«, sage ich seufzend. »Die Jugend ist bei den jungen Leuten verschwendet.«
Wayne nickt. »Und das Leben bei den Lebenden.« Er wendet sich an Jared. »Erzähl mir eine von deinen Lieblingssachen.«
»Was meinst du damit?«
Wayne sieht zum Himmel hoch. »Erzähl mir von einem dieser kleinen Schätze des Lebens, ein schlichtes, gedankenloses Vergnügen, das du genießt und dann vergisst.« Er fixiert Jared mit einem grimmigen Blick. »Und denk dran, wenn du Blowjob sagst, schubse ich dich gleich über
diese Leiste.«
Jared zieht nachdenklich an seiner Zigarette. »Manchmal gieße ich etwas Orangensaft in einen Plastikbecher und friere ihn ein, wie Eiswürfel, weißt du? Und dann, wenn man an ihm saugt, saugt man praktisch den ganzen Saft aus dem Eis, sodass das Einzige, was noch übrig ist, dieses ziemlich geschmacklose Stück Eis ist. Aber etwas von dem Saft setzt sich am Boden des Bechers ab, und während man sich zum Boden des Eises durcharbeitet, kann man den Becher immer wieder schräg legen und einen Schluck puren, eiskalten Saft bekommen, und das schmeckt einfach richtig süß, weißt du?« Er sieht uns verlegen an. »Naja, ich weiß, es klingt dämlich, aber du hast schließlich gefragt.«
Wayne lächelt und schließt die Augen. Eine kühle Brise umweht uns, und er schaudert sichtlich. »Das war perfekt«, sagt er. »Und du, Joe?«
Ich denke eine Minute darüber nach und sage dann: »Phoebe Cates.«
»Phoebe Cates«, wiederholt Wayne skeptisch.
»Wer ist denn Phoebe Cates?«, fragt Jared.
»Sie ist eine Schauspielerin«, sage ich. »Jeder Typ in meinem Alter war irgendwann in sie verknallt.«
»Wegen der Oben-ohne-Szene in Fast Times at Ridgement High - Ich glaub, ich steh im Wald«, sagt Wayne.
»Oh«, sagt Jared und nickt. »Ich weiß, wer sie ist.«
»Es hat nichts mit der Fernsehserie Fast Times zu tun. Sie hat nur etwas sehr Pures an sich. Als ich ein Junge war, war sie alles, was man sich je an einem Mädchen wünschen könnte, und ich stellte mir immer dieses absolut unglaubliche Leben vor, dass ich haben könnte, wenn ich jemanden wie sie hätte. Und wenn ich sie heute im Fernsehen sehe, überkommt mich jedes Mal dieses unerklärliche, hoffnungsvolle Glücksgefühl, als ob all die Träume, die ich als Kind je hatte, irgendwo dort draußen auf mich warten und immer noch verwirklicht werden könnten.«
»Ja«, sagt Wayne. »Aber Phoebe Cates? Das verstehe ich einfach nicht.«
»Ich verstehe es auch nicht«, sagt Jared und schüttelt den Kopf.
»Na ja, du bist schwul, und du bist eine Generation zu spät, und mit Rücksicht auf die Zeit werde ich meine Antwort ändern und mich stattdessen für den Blowjob entscheiden«, sage ich, und wir lachen alle. »Also, gehen wir jetzt runter, oder was?«
Eine komische Stille fällt über die Menge, als wir drei uns erheben und mit dem gefährlichen Abstieg über die Leiste der Kuppel beginnen, Jared voran, der mir dann hilft, Wayne hinunterzuführen. Sobald wir es sicher aufs Dach geschafft haben, bricht die Menge in stürmischen Applaus aus und bejubelt uns wie eine Rockband. Danke, Bush Falls! Gute Nacht! Gottes Segen!
Mouse wartet mit einem anderen Hilfssheriff und zwei Rettungssanitätern oben an der Treppe auf uns. Die Rettungssanitäter treten rechts und links neben Wayne und schieben ihn vorsichtig die Stufen hinunter. Der Hilfssheriff zückt ein paar Handschellen, und
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