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Stadtfeind Nr.1

Stadtfeind Nr.1

Titel: Stadtfeind Nr.1 Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jonathan Tropper
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an die Highschool?«
    Carly lächelt. »Jeden Tag, zumindest in letzter Zeit. Es fällt mir schwer, mich an bestimmte Ereignisse zu erinnern, aber ich kann mich noch genau erinnern, wie es war, so voll zu sein.«
    »Voll wovon?«
    »Ich weiß nicht. Voll von Versprechungen, voll von Träumen, voll von irgendwelchem Scheiß. Hauptsächlich nur voll von sich selbst. So voll, dass man platzt. Und dann geht man in die Welt hinaus, und die Leute pumpen einen leer, ganz allmählich, wie Luft aus einem Ballon.«
    Ich denke ein paar Sekunden über ihre Analogie nach. »Wie, du lebst also einfach dein Leben, und dabei wird im Lauf der Zeit alle Energie aus dir gepumpt, bis nichts mehr da ist, und dann stirbst du?«
    »Natürlich nicht. Du versuchst verzweifelt, dich mit frischer Luft zu füllen, von dir und von anderen Leuten. Aber damals«, - sie weist mit einem Kopfnicken auf die Jugendlichen vor der Schule - »war es so verdammt mühelos, voll zu sein, verstehst du? Man musste nichts tun als atmen.«
    »Ich weiß«, sage ich nickend. »Auch wenn mein Leben auf der Highschool ziemlich ätzend war, bis du aufgetaucht bist, bin ich doch jeden Morgen mit der Kraft aufgewacht, wieder hinzugehen, als würde ich glauben, dass sich die Dinge jeden Augenblick zum Besseren wenden könnten.«
    Carly seufzt einmal auf, lang und tief. »Ach, na ja.«
    Ein paar Minuten sitzen wir einfach da und sehen den Teenagern vor uns zu, als sei die Windschutzscheibe ein Fernsehbildschirm, und wir ruhen uns entspannt aus, getragen vom Schweigen des jeweils anderen, anstatt darin zu ertrinken. »Das ist schön«, sage ich.
    Carly streicht sich mit den Fingern das Haar aus dem Gesicht und wendet sich zu mir um, die Lippen unbeabsichtigt zu einem Schmollmund zusammengezogen, und sagt: »Du solltest mich jetzt küssen.«
    »Ich brauche Hilfe«, sage ich zu Owen, als ich langsam zum Haus meines Vaters zurückfahre. Carlys Kuss schwirrt mir immer noch durch den Kopf, und ich gleite mit der Zunge von innen über meine Lippen und Wangen, um die letzte Spur ihres Geschmacks zu genießen, wie den Nachgeschmack eines Fruchtbonbons. Es ist erstaunlich, wie perfekt ich die Erinnerung an ihren Geschmack wach gehalten habe, sodass es mir vorkommt, als sei es erst Tage und nicht Jähre her, seit wir uns das letzte Mal küssten. In dem Augenblick, in dem der Kuss endete, war ich in Versuchung, gleich noch einen zu beginnen, aber ich schaffte es, mich zu beherrschen, da ich irgendwie kapierte, dass langes Knutschen hier nicht angesagt war, dass Carly sorgfältiger Zurückhaltung von meiner Seite bedurfte, auch wenn ich nicht ganz begriff, wieso.
    »Zuzugeben, dass du Hilfe brauchst, ist der erste Schritt zur Genesung«, kommt Owens scherzhafte Stimme übers Telefon.
    »Im Ernst«, sage ich zu ihm und erzähle ihm dann, dass Wayne zu mir ins Haus meines Vaters ziehen wird. »Verstehe. Und was brauchst du?«
    »Zunächst einmal eine Krankenschwester und ein Krankenhausbett.«
    »Darum werde ich mich kümmern. Was noch?« Mir wird bewusst, dass ich keine Ahnung habe. »Ich bin mir nicht sicher. Ich habe mich eigentlich noch nie um jemanden gekümmert.« »Ich mich auch nicht.«
    Ich denke einen Augenblick über die traurige Tatsache nach, dass zwei intelligente, erfolgreiche Männer in Fragen der Nächstenliebe so hilflos sind. »Denkst du, dass wir zwei hohle, egoistische Idioten sind?«, fragt Owen, und ich muss lächeln.
    »Aber nein«, sage ich leise. »Ich auch nicht.« Er räuspert sich. »Joe.« »Ja.«
    »Du bist ein guter Mensch.« »Ich bin ein Arschloch.« »Das auch.«
    »Na ja, meinst du, es gibt irgendjemanden, den du anrufen und fragen könntest, was ich sonst noch brauchen werde?«, frage ich ihn.
    »Hier sind wir in Amerika«, sagt Owen. »Hier gibt es immer irgendjemanden, den man anrufen kann.«

33
    Etwas später an diesem Abend bin ich dabei, eifrig in die Tasten meines Laptops zu hämmern, als mir wie durch höhere Gewalt in Erinnerung gerufen wird, dass ich bei Brad und Cindy zum Abendessen erwartet werde. Zumindest nehme ich an, dass ich noch erwartet werde; ich bin mir allerdings nicht sicher. Vielleicht ist die Einladung in Anbetracht meiner unerfreulichen Begegnung mit Cindy heute Nachmittag auf dem Polizeirevier zurückgenommen worden. Niemand hat angerufen, um sie rückgängig zu machen, aber vielleicht ist das eine dieser sonnenklaren Situationen, die keiner verbalen Bestätigung bedürfen. Schwer zu sagen, wirklich. Wenn ja, dann könnte

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