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Stadtfeind Nr.1

Stadtfeind Nr.1

Titel: Stadtfeind Nr.1 Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jonathan Tropper
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dichten Wald, dessen undurchdringliche Finsternis kein Ende zu nehmen scheint. Wir verteilen uns, als wir auf die weite Rasenfläche hinter dem Waldstück kommen, wo die Titaniumgehäuse der Gewehre, die wir umklammert halten, im Mondlicht bläulich schimmern. Es ist nicht schwierig, sich vorstellen, dass wir ein Kommandotrupp sind, der in einen feindlichen Komplex eindringen soll, und ich verspüre einen kindlichen Adrenalinschwall, als wir über eine Kuppe kommen und ich die massive schwarze Struktur des Bürogebäudes in der Ferne aufragen sehe.
    Ich verlangsame mein Tempo, als wir an dem kleinen See vorbeikommen, an dem Sammy, Wayne und ich in jenem Sommer so oft herumhingen. Ich erinnere mich, wie es aussah, als Wayne von der Plattform der Fontäne sprang und es schien, als würde er durch den Wasserstrahl fliegen. Jetzt ist die Fontäne abgestellt, und das dunkle Wasser liegt so still da wie eine Glasscheibe. In meinem Kopf hallen wie ein Echo die fernen Springsteen-Klänge wider, wie er » Spirit in the Night « singt, und einen Augenblick lang spüre ich ein heißes Zittern in meiner Brust, aber ich halte nicht mit dem Laufen inne. Dieser Ort ist schon unheimlich genug; ich brauche meine eigenen Geister nicht, um die Atmosphäre noch mehr zu verdichten.
    Es ist offensichtlich nicht das erste Mal, dass diese Jungen das Gelände unbefugt betreten, und sie laufen in einer Gruppe auf eine Ladebucht am anderen Ende des Gebäudes zu. Zwei von ihnen verschwinden in einem Gebüsch und kommen mit Brechstangen wieder, die sie unter die Gummiumrandung einer der Türen der Ladebucht legen, um sie aufzustemmen. Die Tür bewegt sich glatt auf ihren Schienen, wir treten nacheinander ein; die Letzten von uns schließen hinter sich die Tür. Jared übernimmt jetzt die Führung, und wir folgen ihm im Gänsemarsch einen Korridor entlang und in ein Treppenhaus. Wir steigen vier Treppen hoch und treten in ein riesiges Atrium, das mit zusammenhängenden Büronischen gefüllt ist, die sich über die Breite und Länge des gesamten Raums erstrecken, soweit das Auge reicht.
    »Sie haben das Gelände abgeriegelt, als sie das Geschäft aufgegeben haben«, erklärt mir Jared, während die anderen Jungen ihre Ausrüstung auf die Schreibtische werfen und beginnen, ihre Gewehre zu laden und einzustellen. Offenbar ist Stille nicht mehr erforderlich. »Der gesamte Komplex bleibt abgesperrt, bis die Anwälte alles ausgefochten haben, deswegen ist nichts berührt worden.«
    Ich gehe langsam durch die fortlaufenden Reihen von Büronischen, die alle immer noch mit Schreibtischen, Stühlen, Computerterminals, Telefonen und Faxgeräten ausgestattet sind. In vielen der Nischen sind die Wände immer noch mit Fotos und Postern geschmückt, die Accessoires kleiner Angestellter, die vergessen wollen, dass sie nur eine winzige Zelle in der Honigwabe insgesamt bewohnen. Eine Atmosphäre apokalyptischer Trostlosigkeit herrscht an diesem Ort, diesem einst riesigen und quirligen Unternehmen, das jetzt nur noch eine gespenstische Firmenödnis ist. Für Farbball könnte man sich keinen besseren Austragungsort wünschen.
    Wir teilen uns in zwei Viererteams auf, Jared und ich zusammen mit zwei Jungen, von denen der eine, pummelig und mit Akne übersät, Grossman genannt wird und der andere schlicht Baum, vielleicht eine Abkürzung oder vielleicht weil er mit Abstand der größte in der Gruppe ist. Die beiden Teams laufen zu den gegenüberliegenden Seiten des riesigen Atriums, um ihre Flaggen aufzuhängen, dann bläst irgendjemand in eine Trillerpfeife, und das Spiel beginnt. Die nächsten beiden Stunden verbringen wir damit, uns wie von Sinnen durch das Labyrinth der Nischen zu schlängeln, uns zu verstecken, uns zu ducken, zu schießen und zu schreien. Jedes Spiel dauert etwa zwanzig Minuten und endet, wenn entweder alle vier Teamkameraden »tot« sind oder irgendjemand es geschafft hat, die weitaus schwierigere Leistung zu vollbringen, die Flagge des gegnerischen Teams herunterzureißen, ohne erschossen zu werden. Anfangs bin ich vorsichtig, komme mir albern und kindisch vor, aber nach meiner ersten »Tötung« gebe ich mich dem primitiven Nervenkitzel des Spiels hin und verliere mich im Adrenalinnebel des simulierten Kampfs. Die Farbbälle, tatsächlich komprimierte Gelatinekapseln, verursachen beim Aufprall einen stechenden Schmerz, aber der Schmerz gehört ebenfalls zu dem Kick. Und es lässt sich nicht leugnen, dass durch die Gesetzlosigkeit unsers Tuns

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