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Stadtgeschichten - 01 - Stadtgeschichten

Stadtgeschichten - 01 - Stadtgeschichten

Titel: Stadtgeschichten - 01 - Stadtgeschichten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Armistead Maupin
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zu, aber es kamen keine weiteren Einladungen mehr, keine schmerzerfüllten Bitten um Zuwendung.
    Es war, als hätte es Mendocino nie gegeben.
    In Ordnung, dachte Mary Ann, wenn er es so haben will. Sie hatte eine Menge anderer Möglichkeiten, ihre Energien einzusetzen … und viele Kilometer zu laufen, bevor sie einschlafen konnte.
    Sie machte Edgar Halcyons Kaffeemaschine sauber.
    Sie kaufte einen Glasschneider und machte aus einer großen Weinflasche ein Terrarium für ihren Schreibtisch.
    Sie schuf sich an ihrer Pinnwand eine »persönliche Ecke« mit Peanuts-Cartoons, mit Zettelchen, die sie aus Fortune-cookies geschält hatte, und mit Urlaubspostkarten von Freundinnen.
    Jeden Vormittag machte sie einmal kurz Pause, saß völlig regungslos und mit geschlossenen Augen an ihrem Schreibtisch und sagte sich den unerschrockenen Leitsatz der Siebziger von »Heute ist der erste Tag vom Rest meines Lebens.«
     
    Eines Abends tauchte Michael an ihrer Tür auf. Er hielt ein Tongefäß in Form eines Huhns in Händen.
    »Das ist die Hälfte von meinem poulet Tolliver« ,sagte er grinsend. Seinen Namen sprach er aus wie Tollivé. »Mona ist weg und hebt entweder ihr Bewußtsein oder senkt ihre Erwartungen, und ich dachte … Da hast du.«
    »Das ist aber süß, Michael.«
    »Fang mit der Schwärmerei erst an, wenn du es gesehen hast. Es sieht aus wie eine Möwe, die sich mit einer 747 angelegt hat.«
    »Es riecht köstlich.«
    »Soll ich’s auf den Eßtisch stellen?«
    »O ja. Danke.«
    Er setzte den Tontopf ab und schüttelte dann lächelnd den Kopf.
    »Was ist?« fragte Mary Ann.
    »Im Süden macht man das, wenn jemand stirbt. Essen bringen, meine ich.«
    »Da liegst du gar nicht so verkehrt.«
    »Wie meinst du das?«
    »Bist du … Hast du die andere Hälfte von dem Hähnchen schon gegessen?«
    Er schüttelte den Kopf.
    »Hättest du gern Gesellschaft?«
    Michael verdrehte die Augen. »Manchmal würd ich mein Leben dafür geben.«
     
    Mary Ann nutzte die Zeit, bis Michael seine Hähnchenhälfte anschleppte, um einen Salat zu machen.
    Sie aßen bei Kerzenschein.
    »Das ist mein erstes richtiges Abendessen … mit einem Gast.«
    »Welche Ehre.«
    »Ich hoffe, du magst Green-Goddess-Sauce.«
    »Mmm. Das nächste Mal essen wir Spargel, und dann kannst du mir deine Sauce hollandaise vorführen.«
    »Woher weißt du, daß ich … Oh …«
    Michael nickte. »Robert. Ich mußte in unserer Scheidungsvereinbarung auf das Rezept verzichten.«
    Mary Ann wurde rot. »Es ist ganz einfach.«
    »Ich hätte keine alten Geschichten aufwärmen sollen. Tut mir leid.«
    »Das ist schon okay. Ich hatte immer ein blödes Gefühl wegen der Sache.«
    »Warum? Robert ist doch ein geiler Kerl. Ich hätte es auch so gemacht. Das heißt, ich habe es so gemacht. Was glaubst du, wo ich ihn kennengelernt habe?«
    »Im Safeway?«
    »Aber nicht im selben wie du. In dem an der Upper Market Street. Von meiner Warte aus ist es dort entschieden prickelnder.« Er gab sich selbst eine Ohrfeige. »Laß das. Du machst das Mädchen ganz verlegen.«
    Sie lachte. »Wirke ich dermaßen unbedarft?«
    »Nein, ich … Ja, manchmal schon.«
    »Na ja, ich bin es wohl auch.«
    »Es hat bei dir aber auch einen gewissen Reiz.«
    »Das hab ich schon mal irgendwo gehört.«
    »Oh … Von wem?«
    »Das spielt keine Rolle.«
    Michael lächelte etwas gequält, während er sie anschaute. »Bist du deswegen dem Seelentod so nahe?«
    »Michael, ich …«
    »Weißt du was … wir hauen nächste Woche mal so richtig auf den Putz. Wir können irgendwo hingehen, wo es ganz schrecklich anständig zugeht … ins Starlight Roof oder so. Dein Leben fängt erst richtig an, wenn du mal mit dem Tolliver Gigolo Service ins Geschäft gekommen bist.«
    Mary Ann rang sich ein Lächeln ab. »Ja, das könnte ganz nett sein.«
    »Halt deine Begeisterung etwas im Zaum, ja?«
    »Vielleicht bin ich nächste Woche nicht mehr hier, Michael.«
    »Hmm?«
    »Ich glaube, ich gehe nach Cleveland zurück.«
    Michael pfiff. »Dort bist du dem Seelentod nicht mehr nur nahe, dort bist du tot.«
    »Ich glaube, im Moment hat was anderes keinen Sinn.«
    »Soll das heißen« – er warf seine Serviette auf den Tisch – »daß ich gerade ein ganzes Hähnchen darauf verschwendet habe, mich mit einer Frau anzufreunden, die nur auf der Durchreise ist?« Er stand vom Tisch auf, ging zum Sofa hinüber, setzte sich und verschränkte die Arme. »Komm hier rüber. Wir müssen uns jetzt mal von Frau zu Frau

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