Stadtgeschichten - 01 - Stadtgeschichten
»Weißt du, ich werde sie wieder nehmen.«
»Wen?«
»Mona … Wenn du’s mir sagst, nehme ich sie wieder.«
Anna schüttelte den Kopf. »Das würde ich nicht tun. Außerdem käme sie selbst dann nicht mehr zurück, wenn du deine Meinung ändern würdest.«
»Heißt das, daß ich ein blöder Affe bin?«
»Du nicht. Dein Schwiegersohn.«
»Hat sie dir das gesagt?«
Anna nickte. »Hat sie recht?«
»Absolut.«
»Das dachte ich mir schon.«
»Hast du ihr etwas gesagt, Anna?«
»Über dich?«
»Ja.«
Anna schüttelte den Kopf. »Das geht nur uns was an, Edgar. Nur uns beide.«
»Ich weiß, aber …«
»Aber was?«
»Sie ist für dich wie eine Tochter, nicht?«
»Ja.«
»Fällt es dir da nicht schwer, es ihr nicht zu sagen?«
»Ja.«
»Ich würde es am liebsten in die ganze Welt hinausposaunen.«
Anna lächelte. »Dazu braucht es bloß eine Aktennotiz an deine Sekretärin.«
»Die wird es noch vor Mona herausfinden.«
»Hoffentlich nicht.«
»Warum? Ich habe mehr zu verlieren als du.«
Anna betrachtete ihn einen Moment. »Komm. Holen wir die Decke aus dem Auto. Hier draußen ist es kälter als zwischen den Titten einer Hexe.«
Edgar kicherte. »Ich wußte nicht, daß brave Mädchen so einen Ausdruck kennen.«
»Tun sie auch nicht.«
»Wir haben das immer in Frankreich gesagt. Während des Kriegs.«
»Damals habe ich das auch gelernt.«
»Was redest du denn da?«
»Ich war in Fort Ord.«
»Du warst im Women’s Army Corps?«
»Ich habe für einen Colonel, der die meiste Zeit besoffen war, die Munitionsanforderungen getippt. Aber was ist jetzt, holen wir die Decke oder nicht?«
Sie kuschelten sich im Windschatten einer Düne aneinander. »Wie war das, in einem Puff aufzuwachsen?«
Anna verzog den Mund. »Wie war das, in Hillsborough aufzuwachsen?«
»Ich bin nicht in Hillsborough aufgewachsen. Ich bin in Pacific Heights großgeworden.«
»Ach du meine Güte! Da bist du ja mächtig rumgekommen, was?«
»Komm schon. Ich habe dich zuerst gefragt.«
»Na dann …« Sie schöpfte eine Handvoll Sand und ließ ihn durch die Finger rinnen. »Ein Aspekt war, daß ich vierzehn werden mußte, bis mir klar wurde, daß auf amerikanischen Banknoten nicht steht: ›Gültig für eine ganze Nacht‹.«
Edgar lachte.
»Außerdem habe ich in bezug auf etliche Dinge einen kuriosen Aberglauben entwickelt, mit dem ich mich noch heute herumschlage.«
»Zum Beispiel?«
»Zum Beispiel … kann ich keine Schnittblumen ertragen. Schick mir also nie einen Strauß langstielige Rosen, wenn du willst, daß unsere sonderbare und wunderbare Beziehung bestehen bleibt.«
»Was stört dich an Schnittblumen?«
»Die Schönen der Nacht sehen in ihnen Vorboten eines baldigen Todes. Es geht da um Schönheit, die in ihrer Blüte zerstört wird, und so Zeug.«
»Oh.«
»Keine schöne Sache.«
»Nein.«
Anna schaute zu Boden und zog mit dem Finger eine Linie durch den Sand.
Und Edgar kam es vor, als würde sie seinen Schmerz nicht nur spüren, sondern auch teilen.
Im nächsten Zwiespalt
Das Bay Area Crisis Switchboard befand sich in einem renovierten viktorianischen Haus in Noe Valley. Die Fassade war dattelgolden, maulwurfsgrau, avocadogrün, fuchsienrot und schokoladenbraun gestrichen. Ein Schild im Fenster informierte die Besucher des Hauses darüber, daß dessen Bewohner keinen Wein der Firma Gallo tranken.
Mary Ann hatte schon da ein komisches Gefühl.
Sie drückte auf die Klingel. Ein Mann in einem Renaissancehemd machte ihr auf. Mary Anns Blick glitt von dem Hemd über einen dünnen roten Bart hoch zu der Stelle, an der normalerweise sein linkes Ohr gewesen wäre.
»Ich … habe vorhin angerufen.«
»Supertoll. Die neue Freiwillige. Ich bin Vincent.«
Er führte sie in einen spärlich möblierten Raum, der von einem gewaltigen Wandbehang aus Makramee beherrscht wurde, in den Muschelstücke und Federn und Treibholz eingearbeitet waren. Es blieb ihr gar nichts anderes übrig, als etwas dazu zu sagen.
»Der ist ja … wirklich wunderbar.«
»Ja«, sagte Vincent strahlend. »Den hat meine Alte gemacht.«
Mary Ann nahm an, daß er nicht seine Mutter meinte.
Zu ihrer großen Erleichterung erwies er sich als sehr netter Kerl. Beim Switchboard machte er die Schicht von Dienstag bis Donnerstag. Er war Künstler. Und er machte ihr einen Nescafé, ohne sich zu entschuldigen.
»Wahrscheinlich werden wir … sozusagen … parallel arbeiten«, erklärte er ihr. »Zwischen acht und elf kriegen wir so
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