Stadtgeschichten - 01 - Stadtgeschichten
nicht, Anna?«
Sie ließ ihre Schuhe in den Sand fallen und schlang ihm die Arme um den Hals. »Für das Mädchen ist es zu spät, Edgar. Aber die alte Dame rumzukriegen ist ein Kinderspiel.«
Sie lagen wieder unter der Decke.
»Wir sollten zurückfahren, Anna.«
»Ich weiß.«
»Ich habe Frannie gesagt, ich würde …«
»Ist schon gut.«
»Sind wir dabei, einen großen Fehler zu machen?«
»Na hoffentlich!«
»Du weißt nicht sehr viel über mich.«
»Nein.«
»Ich habe nicht mehr lange zu leben, Anna.«
»Oh … Das dachte ich mir schon.«
»Du hast es gewußt …?«
Anna zuckte mit den Schultern. »Warum sollte Edgar Halcyon sonst so was machen?«
»O Gott.«
Anna spielte mit den weißen Locken an seinem Hinterkopf. »Wieviel Zeit haben wir noch?«
Zu Hause in der Barbary Lane legte Anna sich genüßlich in die Badewanne. Sie sang gerade ein sehr altes Lied, als es bei ihr klingelte.
Sie trocknete sich ab, schlüpfte in ihren Kimono und drückte auf den Türöffner, um ihren Besuch reinzulassen.
»Wer ist da?« rief sie über den Flur.
»Eine Freundin von Mary Ann Singleton«, kam die Antwort. Es war die Stimme einer jungen Frau.
»Sie ist weggegangen, meine Liebe. Zum Crisis Switchboard.«
»Wäre es Ihnen recht, wenn ich hier warte? Ich meine, hier in der Diele. Es geht nämlich um was Wichtiges.«
Anna ging auf den Flur hinaus. Die junge Frau war blond und füllig und sah aus wie ein Kind, das sich verlaufen hatte. Und sie trug eine Gucci-Einkaufstasche.
»Setzen Sie sich nur, meine Liebe«, sagte die Vermieterin. »Mary Ann müßte bald nach Hause kommen.«
Als Anna wieder in der Badewanne lag, ging ihr die Besucherin nicht aus dem Kopf. Sie kam ihr irgendwie vertraut vor. Da war etwas mit den Augen und der Form des Kinns.
Plötzlich wußte sie es.
Die junge Frau sah aus wie Edgar.
Wo war Beauchamp dann?
Das Gesicht der Frau lag im Dunkeln. Sie hatte so stark zugenommen, daß Mary Ann sie nicht auf Anhieb erkannte.
»Mary Ann?«
»Oh …«
»Ich bin Beauchamps Frau. DeDe. Ihre Vermieterin hat mich reingelassen.«
»Ja. Mrs. Madrigal.«
»Sie war sehr freundlich. Hoffentlich macht es Ihnen nichts aus. Ich fürchtete, ich könnte Sie verpassen.«
»Nein … Schon gut. Haben Sie Zeit, um auf einen Drink mit nach oben zu kommen?«
»Erwarten Sie keinen … Besuch?«
»Nein«, sagte Mary Ann so, daß sie damit bereits die Anschuldigung zurückwies.
DeDe setzte sich auf einen Regiestuhl mit gelbem Plastikbezug und faltete die Hände über der Einkaufstasche.
»Möchten Sie ein Glas Crème de menthe?« fragte Mary Ann.
»Danke. Haben Sie auch weiße?«
»Weiße was?«
»Crème de menthe.«
»Ach so … nein … nur die andere.«
»Ach so … Danke, dann nehme ich nichts.«
»Ein Mineralwasser vielleicht?«
»Wirklich, ich fühle mich auch so wohl.«
Mary Ann ließ sich auf den Rand des Sofas sinken. »Aber nicht allzu wohl.« Sie lächelte schwach.
DeDe sah auf ihre Hände. »Nein. Wahrscheinlich nicht. Mary Ann … Ich bin nicht gekommen, um Ihnen eine Szene zu machen.«
Mary Ann schluckte. Sie spürte, wie ihr Gesicht heiß wurde.
»Ich wollte Ihnen das hier bringen.« DeDe kramte in ihrer Einkaufstasche und zog dann Mary Anns braunweiß getupften Schal heraus. »Ich habe ihn in Beauchamps Auto gefunden.«
Mary Ann starrte entgeistert auf den Schal. »Wann?«
»Am Montag, nachdem Sie mit ihm in Mendocino waren.«
»Oh.«
»Er hat mir davon erzählt.«
»Ich verstehe.«
»Es ist doch Ihrer, oder?«
»Ja.«
»Es ist mir egal. Ich meine … Es ist mir nicht egal, aber ich lasse mich davon nicht mehr … fertigmachen. Ich habe mich damit abgefunden. Ich glaube, ich habe sogar Verständnis dafür, wie er … Sie da hineingezogen hat.«
»DeDe, ich … Warum sind Sie dann hier?«
»Weil ich … hoffe, daß Sie mir die Wahrheit sagen werden.«
Mary Ann hob in einer Geste der Hilflosigkeit die Hände. »Habe ich das denn nicht gerade getan?«
»Waren Sie letztes Wochenende mit ihm zusammen, Mary Ann?«
»Nein! Ich war …«
»Und vorletzten Dienstag?«
Mary Ann fiel die Kinnlade runter. »DeDe … ich schwöre bei Gott … ich war einmal mit Beauchamp zusammen, und bei diesem einen Mal ist es dann auch geblieben. Er hat mich gebeten, mit ihm nach Mendocino zu fahren, weil …« Sie brach abrupt ab.
»Weil was?«
»Es hört sich idiotisch an. Er … hat gesagt, er braucht jemanden zum Reden. Er hat mir leid getan. Aber seither habe ich kaum ein
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