Stadtgeschichten - 01 - Stadtgeschichten
hübsch.«
»Das haben wir auch gedacht. Und es ist auch ganz wunderbar geworden, als wir ihn erst mal stubenrein hatten. Wir haben ihn überall mitgenommen … In den Golden Gate Park, zum Renaissance Faire … und in den Zoo. Meine Güte, wie gern er doch in den Zoo gegangen ist! Dann hat uns unser Freund bei Marine World eines Tages gefragt, ob wir Andrew nicht … mit einer Schimpansendame zusammenbringen wollten, die einem anderen Freund von ihm gehörte. Natürlich waren wir damals ganz schön nervös, denn dadurch sollten wir ja faktisch Großeltern werden.«
»Faktisch.«
»Der große Tag war also da … Aber Andrew spielte nicht mit.«
»O nein!«
»Stell dir vor, er weigerte sich sogar, mit ihr im selben Zimmer zu bleiben.«
»Okay, laß mich raten.«
Michael nickte traurig. »Er war so warm, daß er mit der flachen Hand hätte bügeln können!«
»Jetzt mach mal halblang!«
»Ich konnte damit ganz gut umgehen, weil ich Andrew wirklich liebte, aber Christopher nahm es persönlich. Er war überzeugt, daß es nicht so weit gekommen wäre, wenn er mit Andrew öfter Ball gespielt …«
Jon fing zu lachen an. »Du bist vielleicht eine Nummer!«
»Es war schrecklich, sag ich dir! Christopher hat mir Vorhaltungen gemacht, daß ich Andrew verhätschelt hätte und ihn übertrieben oft zu Busby-Berkeley-Filmen ins Kino mitgenommen hätte … und daß ich es ihm nicht verboten hätte, sich im Sears-Katalog die Seiten mit der Männerunterwäsche anzuschauen!«
»Hör auf!«
Michael grinste und gab sein Spiel auf. »Sag bloß, die Geschichte hat dir nicht gefallen!«
»Denkst du dir immer Sachen aus?«
»Immer.«
»Warum?«
Michael zuckte mit den Schultern. »›Ich will ihn über mein wahres Selbst gerade genug täuschen, daß er mich haben will.‹«
»Woraus ist das denn?«
»Das sagt Blanche DuBois. In Endstation Sehnsucht. «
Jon schlang seinen Arm um Michaels Hals. »Komm zu mir, Blanche.« Sie küßten sich recht lange, obwohl die Betonbank ziemlich kalt war.
Als sie sich voneinander lösten, sagte Michael: »Würde es sich besser anhören, wenn der Mann Andrew hieße und der Schimpanse Christopher?«
»Dein Mann war auch erfunden?«
»O ja … besonders mein Mann.«
Die rätselhafte Besucherin
AmStrand wurde der Wind stärker, weshalb Anna die Decke zurechtzog, die ihnen Schutz bot. »Hier, Edgar … halt sie fest. Sonst sieht noch jemand, daß deine Sachen von Brooks Brothers sind.«
»Paß bloß auf.«
»Ich muß schon sagen … diese Socken sind geradezu adorabel … wenn du den Ausdruck entschuldigst. Ich nehme an, daß in St. Moritz heutzutage jeder anthrazitfarbene Kniestrümpfe trägt!«
»Das kitzelt, Anna. Laß das.«
»Kitzlig? Edgar Halcyon? Ist nichts mehr heilig?«
»Anna, ich warne dich …«
»Du bist ganz schön ruppig für ein Stadtkind!« Sie sprang plötzlich auf, zerrte an seiner ohnehin schon gelockerten Krawatte und stolzierte dann über den Strand. Edgar jagte sie in die Dünen zurück und warf sich mit dem Kampfruf eines Samurais auf sie.
Lachend und keuchend lagen sie aneinandergeschmiegt da.
»Komm mit«, sagte Anna und faßte ihn an den Händen. »Laß uns ein bißchen Treibgut suchen.«
»Nicht so hastig, Anna.«
»Fühlst du dich nicht wohl?«
»Doch. Ich …«
»Bist du sicher?«
»Ja, alles bestens.«
»Ich vergesse immer, daß du ein alter Bussard bist.«
»Ich bin zwei Jahre älter als du.«
»Eben. Ein alter Bussard.«
Um vier Uhr klarte der Himmel auf. Sie spazierten barfuß den Strand entlang.
»Das erinnert mich an etwas«, sagte Edgar.
»An eine Whiskeyreklame?«
Er lächelte und drückte ihre Hand. »Als ich neunzehn war, haben mich meine Eltern den Sommer über nach England geschickt. Ich habe bei ein paar Cousins von mir in einem Dorf gewohnt, das Cley-next-the-Sea hieß. Dort bin ich immer am Strand spazierengegangen und habe Karneole gesucht.«
»Sind das Steine?«
»Wunderschöne rote. Orangerote. Einmal habe ich auf dem Strand eine alte Dame getroffen. Wenigstens habe ich sie damals für alt gehalten. Ihre Tochter war auch dabei. Sie war achtzehn und sehr schön. Die beiden haben mich aufgefordert, mit ihnen zu gehen. Sie waren auch auf der Suche nach Karneolen.«
»Bist du mitgegangen?«
»Was glaubst du?«
»Ich glaube, Edgar war zu beschäftigt … oder es war ihm peinlich.«
Edgar blieb stehen und schaute Anna an. Er machte ein Gesicht wie ein Löwe, der einen Dorn in der Pfote stecken hatte. »Es ist zu spät,
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