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Stadtgeschichten - 01 - Stadtgeschichten

Stadtgeschichten - 01 - Stadtgeschichten

Titel: Stadtgeschichten - 01 - Stadtgeschichten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Armistead Maupin
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knapp.
    »Ach so …. die Selbstmörderoase.«
    Mary Ann runzelte die Stirn. »Das ist nur ein Teil davon.«
    »Wann hast du dort Schluß?«
    »Ziemlich spät.«
    »Ich verstehe. Okay … Wenn du Lust hast, dann komm doch nachher noch auf einen Joint zu mir.«
    »Ich bin hinterher meistens sehr müde, Brian.«
    Er drückte sich an ihr vorbei und stieg die Treppe hinauf. »Na prima. Direkter geht’s ja wohl kaum noch, was?«
     
    Die Straßenbahn der Linie J Church war mal wieder pickepackevoll.
    Mary Ann zahlte bei der mürrischen Fahrerin und arbeitete sich dann durch eine Wolke aus Woolworth-Parfüm zentimeterweise nach hinten zu einem freien Platz. Sie setzte sich neben eine alte Frau in einem pinkfarbenen Tuchmantel und mit einer arg mitgenommenen braunen Perücke auf dem Kopf.
    »Es wird wärmer.«
    »Wie bitte?«
    »Anscheinend wird’s wieder wärmer.« Eine Quasseltante, dachte Mary Ann. Jedesmal dasselbe.
    »Ja, da haben sie recht.«
    »Wo sind Sie her?«
    »Aus Cleveland.«
    »Meine Schwester ist mal in Akron gewesen.«
    »Aha … Ja, Akron ist wirklich eine hübsche Stadt.«
    »Ich bin hier geboren und aufgewachsen. An der Castro Street. Bevor die ganzen … na, Sie wissen schon … da hingezogen sind.«
    »Ich weiß, was Sie meinen.«
    »Haben Sie schon zu Jesus gefunden?«
    »Wie bitte?«
    »Haben Sie Jesus schon als Ihren persönlichen Erlöser angenommen?«
    »Na ja … ich bin … Meine Eltern sind Presbyterianer.«
    »In der Bibel steht: › Wenn jemand nicht von neuem geboren wird, kann er das Reich Gottes nicht sehen.‹«
    Wenn es einen Gott gibt, dachte Mary Ann, dann macht er sich bestimmt einen Spaß daraus, mir immer solche Leute zu schicken: fundamentalistische Weibsbilder. Hare Krishnas, die mit ihren Blumen hausieren gehen. Scientologen, die einem an der Ecke Powell und Geary »Persönlichkeitstests« anbieten.
    Als die Straßenbahn an der Twenty-fourth Street hielt, drängelte Mary Ann in Richtung Tür.
    Die alte Frau streckte ihren Arm auf den Gang hinaus, sagte »Lobet den Herrn!« und drückte ihrer Konvertitin ein eselsohriges Flugblatt in die Hand. Mary Ann wurde rot und nahm es mit einem Kopfnicken an.
    Als die Straßenbahn weiterfuhr, blieb sie an der Ecke stehen und las die fett gedruckte Überschrift des Flugblatts: JIMMY CARTER FOR PRESIDENT.
     
    Mary Ann kam zu dem Schluß, daß die Welt im Wandel war. Selbst für eine Provinzlerin wie sie hatte die Twenty-fourth Street etwas fast schon kurios Altmodisches. Die Männer trugen ihre Haare immer noch zu Pferdeschwänzen gebunden, und die Frauen wallten in ländlichen Großmutterkleidern durch die Gegend. »Echt toll!« klang hier so platt wie: »Ach, Dummerchen!« Und was kommt als nächstes? fragte sie sich. Was wird an die Stelle der Gratisarztpraxen, der Switchboards, der Alternativzeitungen und des makrobiotischen Dies und Das treten?
     
    Die Diele des Switchboard lag im Dunkeln. Ein schmaler Lichtstreif aus dem hinteren Raum wies ihr den Weg zu einem klingelnden Telefon.
    »Ich bin da, Vincent. Tut mir schrecklich leid! Aber mir ist einfach die Zeit davongelaufen. Du mußt ganz schön … Nein! … O Gott, Vincent, nein! … Du hast dich doch nicht etwa …?«
    Seine Zunge war das Allerschlimmste. Sie quoll aus seinem Mund wie eine dicke schwarze Wurst.
    Sachte hin und her schaukelnd baumelte Vincent von der Decke. Um seinen Hals lag ein abscheuliches Gewirr aus Schnur und Muscheln und Federn. Laureis Wandbehang hatte zu guter Letzt eine Verwendung gefunden.
    Vincent war so organisch wie möglich gestorben.
Das Betthupferl
    Der Polizist, der Mary Ann an der Barbary Lane absetzte, war so jung, daß er noch Pickel hatte. Aber er war freundlich und schien aufrichtig um sie besorgt zu sein.
    »Sind Sie sicher, daß Sie alleine zurechtkommen?«
    »Danke, ja.« Sie war nahe dran, ihn auf eine Crème de menthe zu sich nach oben einzuladen … Alles wäre ihr recht gewesen, um an diesem Abend nicht allein sein zu müssen.
    Als sie die Treppe zur dunklen Barbary Lane hinaufhastete, hoffte sie inständig, daß Mona oder Michael zu Hause sein würden. Es reagierte aber niemand auf ihr Klingeln.
    Als sie oben im zweiten Stock ihren Schlüssel aus der Handtasche holen wollte, bemerkte sie den Lichtschein unter Brians Tür. Kurz entschlossen änderte sie ihren Kurs.
    Er trug Boxershorts und ein Sweatshirt, als er ihr die Tür aufmachte. Sein Gesicht glänzte vor Schweiß.
    »Das kommt von den Sit-ups«, erklärte er und deutete mit dem

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