Stadtgeschichten - 01 - Stadtgeschichten
…«
»Na sag schon.«
»Danke fürs Zuhören.«
»Raus mit dir. Ich muß mit meinen Sit-ups weitermachen.«
Tröstliche Worte
Mr. Halcyon war freundlicher als erwartet, als sie ihn um einen freien Tag bat.
»Es tut mir leid um Ihren Freund, Mary Ann.«
»Er war nicht direkt ein Freund …«
»Trotzdem.«
»Jedenfalls danke ich Ihnen sehr.«
»Das Leben in Atlantis ist nicht leicht, was?«
»Sir?«
»Ach, nichts. Gehen Sie ruhig. Ich kann jemand von Kelly Girl kommen lassen.«
Ihre Ratlosigkeit war größer denn je. Sie saß auf ihrem Korbsofa, stopfte eine Pop-Tart in sich hinein und schaute auf die Bay hinaus. Das Wasser war so blau … aber war der Preis nicht zu hoch?
Wie oft hatte sie jetzt schon gedroht, nach Cleveland zurückzugehen?
Wie oft hatte die Aussicht auf ein Familienservice und ein gesichertes Leben im eigenen Haus sie schon von den Hängen dieses wunderbaren Vulkans weglocken wollen?
Würde es je dazu kommen, daß sie sich hier einmal nicht wie eine Kolonistin auf dem Mond vorkam?
Oder würde sie eines Tages aufwachen und sich als alte Dame im Tuchmantel wiederfinden, die mit leicht angeschmutzten Handschuhen auf dem Russian Hill herumtappte, bei Marcel & Henri die Entscheidung für ein einzelnes Lammkotelett möglichst lange hinauszögerte und dem Fleischer oder dem Türsteher oder dem netten jungen Bremser, der ihr in die Cable Car half, erklärte, sie würde in den nächsten Tagen, sobald ihre Rente da war oder anderes Wetter kam oder sie ein neues Zuhause für ihre Katze gefunden hatte … nach Cleveland zurückkehren?
Es klingelte.
Als sie aufmachte, war das Gesicht ihres Besuchers von einem riesigen Blumentopf mit gelben Chrysanthemen verdeckt.
»Hallo, Mary Ann.«
»Norman?«
»Ich hab dich doch nicht aufgeweckt, oder?«
»Nein. Komm rein.«
Er stellte den Blumentopf auf eines der Tischchen aus Teak, die sie bei Cost Plus gekauft hatte. »Sind die für mich?« fragte sie.
Er nickte. »Ich hab gehört, was gestern abend passiert ist.«
»Wie lieb von dir … Wer hat es dir erzählt?«
»Der Kerl von gegenüber. Ich bin ihm heute vormittag draußen vor dem Haus begegnet.«
»Brian.«
»Ja. Aber, störe ich dich auch …«
»Aber nein. Es freut mich, daß du gekommen bist, Norman. Ehrlich.« Sie küßte ihn flüchtig auf die Wange. »Ehrlich.«
Norman wurde rot. »Ich dachte, die gelben gefallen dir vielleicht besser als die weißen.«
»O ja.« Sie tätschelte die Pflanze anerkennend. »Gelb ist meine Lieblingsfarbe. Kann ich dir einen Kaffee anbieten?«
»Wenn es nicht zuviel Umstände macht.«
»Natürlich nicht. Ich bin gleich wieder da.« Sie lief in die Küche und machte sich an ihrer französischen Kaffeekanne aus rostfreiem Stahl und Glas zu schaffen, die den stolzen Namen Melior trug und von der Firma Thomas Cara stammte. Vor einem Monat hatte Mary Ann dafür fünfunddreißig Dollar ausgegeben … und sie ganze zwei Mal benutzt.
Sie war sich fast sicher, daß Norman ein Nescafé-Typ war, aber warum sollte sie ein Risiko eingehen?
Der Kaffee schien Norman zu schmecken. »Mensch!« sagte er grinsend, als er seine Tasse abstellte. »Brian hat mir gezeigt, was unsere Vermieterin im Garten anbaut.«
»Ach so … du meinst das Gras?« Sie war verblüfft über die Lässigkeit, mit der sie das sagte. Ihre zunehmende Weltoffenheit erstaunte sie manchmal selbst.
»Ja. Das ist hier wohl ziemlich normal, hm?«
Mary Ann zuckte mit den Schultern. »Sie baut es nur für uns an … und für sich selbst. Aber das weißt du ja … Du hast beim Einzug doch auch einen bekommen, oder?«
»Was soll ich bekommen haben?«
»Einen Joint … Hat an deiner Tür kein Joint geklebt?«
Norman sah überrascht aus. »Nein.«
»Ach so … na ja …«
»Sie hat dir einen Joint an die Tür geklebt, als du eingezogen bist?«
Mary Ann nickte. »Das ist hier so eine Art Hausbrauch. Bei dir muß sie es … vergessen haben oder so.«
Norman lächelte. »Ich komme mir nicht vernachlässigt vor.«
»Du rauchst nicht, hm?«
»Nein.«
»Vielleicht hat sie das geahnt. Sie hat eine ungeheure Intuition.«
»Ja … vielleicht. Brian sagt, daß sie früher in einem Buchladen in North Beach gearbeitet hat.«
Mary Ann konnte keinen rechten Zusammenhang erkennen. »Ja, das hat er mir auch erzählt. Ich hab sie nie danach gefragt.«
»Sie ist nicht von hier, oder?«
»Soll das ein Witz sein?« sagte Mary Ann. Dankbar packte sie die Gelegenheit beim Schopf, den Spruch einmal
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