Stadtgeschichten - 01 - Stadtgeschichten
nicht anders können! Warum können die nicht anders, als mitten auf der Straße Rollschuh zu fahren und sich dafür anzuziehen wie doofe Nonnen?«
»Herb … sprich bitte leiser. Vielleicht sind Katholiken im Lokal.«
Michael schaute von seinem Teller hoch und griff so leger wie möglich in den Disput ein: »Es ist so eine Art Mardi Gras, Papa. Und da machen viele Leute eben allerhand verrückte Sachen.«
»Ja, viele schwule Leute.«
»Nicht nur … solche, Papa. Alle.«
Sein Vater schnaubte verächtlich und machte sich wieder über sein Steak her. »Und warum kasperst du dann nicht auch da draußen rum?«
»Weil er mit uns zusammen ist, Herb. Vielleicht wäre er ja auch gerne da draußen … und würde zu einer Party gehen oder so. Ich kann mir schon vorstellen, daß es da lustig zugeht.«
»Dann haut doch ab. Ich bleibe jedenfalls hier sitzen und esse mein Steak unter normalen Leuten zu Ende.«
Ein Kellner, der Herbert Tollivers Wasserglas auffüllte, bekam die Bemerkung mit. Er machte ein leidendes Gesicht und verdrehte die Augen.
Dann zwinkerte er Michael zu.
Als sie wieder in der Barbary Lane 28 waren, wärmte Alice die gesellschaftlichen Ereignisse von Orlando aus dem letzten halben Jahr auf.
Man hatte ein neues Einkaufszentrum gebaut. Die Tochter der Henleys, Iris, war haschsüchtig und lebte in Atlanta mit einem Professor zusammen. Eine Farbigenfamilie hatte das Einfamilienhaus der McKinneys ein Stück weiter unten an der Straße gekauft. Tante Miriam ging es gut, obwohl sie sich nur sehr, sehr langsam von ihrer Frauenoperation erholte. Und in ganz Mittelflorida waren sich die Leute einig, daß Earl Butz niemals geschaßt worden wäre, wenn er dieselbe Bemerkung über einen Iren gemacht hätte.
Mit einem frühen Frost rechneten sie nicht.
Herbert Tolliver saß während dieses epischen Vortrags ruhig da und kommentierte ihn nur durch gelegentliches Kichern oder Nicken. Angenehm besäuselt von dem Wein, den es zum Essen gegeben hatte, strahlte er seinen Sohn in herzlicher Zuneigung an.
»Na … läuft denn auch alles gut bei dir, Mike?«
»Es läuft nicht schlecht, Papa.«
»Und mach dir wegen deiner kleinen Freundin keine Sorgen, hörst du?«
»Nein, nein, Papa.«
»Du wirst uns fehlen zu Weihnachten, deiner Mama und mir.«
»Er ist jetzt erwachsen, Herb, und da hat er eigene Freunde …«
»Das weiß ich selber, verdammt noch mal! Ich hab doch nur gesagt, daß er uns fehlen wird! Oder hast du was anderes gehört?«
Seine Frau schüttelte den Kopf. »Dein Papa hat recht, Mikey.«
»Ihr werdet mir auch fehlen. Aber es ist einfach zu teuer, wegen der paar Tage mit dem Flugzeug …«
»Ich weiß, Mikey. Mach dir deswegen keine Gedanken«
»Mike … wenn wir dir ein bißchen über die Runden helfen können, bis du einen Job …«
»Danke, Papa. Ich denke, ich schaffe es so. Ich hab auch schon ein paar kleinere Jobs aufgegabelt.«
»Wenn was ist, dann sagst du uns Bescheid, okay?«
»Okay, Papa.«
»Wir sind mächtig stolz auf dich, Junge.«
Michael zuckte mit den Schultern. »So viel ist da ja nicht, auf das man stolz sein könnte.«
»Red doch keinen Stuß! Du kannst es mit jedem aufnehmen, Junge. Du hast dich wieder berappelt, bevor du es überhaupt merkst. Weißt du, mein Sohn, eigentlich beneide ich dich. Du bist jung, du bist unabhängig, und du lebst in einer wunderschönen Stadt voller aufregender Frauen. Du brauchst dir wirklich keine Sorgen zu machen, mein Sohn!«
»Wahrscheinlich hast du recht.«
»Und ob ich recht habe. Das wird nur so flutschen.« Er gluckste und gab seinem Sohn einen gespielten Nasenstüber. »Du mußt dir bloß diese Schwuchteln vom Hals halten.«
Michael setzte ein mannhaftes Lächeln auf. »Ich bin sowieso nicht ihr Typ.«
»Prima!« sagte Herbert Tolliver und fuhr seinem ganzen Stolz durch die Haare.
DeDes wachsendes Dilemma
Als DeDe Beauchamp im Büro anrief, war er gerade dabei, Hal cyons schärfstes neues Model in die Weihnachtskampagne für Adorable einzuweihen.
»Du, ich bin mitten in einer …«
»Tut mir leid, Liebling. Ich wollte bloß … Ich hatte Bedenken, daß du die Vernissage von Pinkie und Herbert heute abend vergessen könntest.«
»Mist.«
»Du hast sie vergessen.«
»Wann müssen wir dort sein?«
»Ich kann dich von der Arbeit abholen. Wir brauchen uns nur kurz sehen zu lassen.«
»Um sechs?«
»Ist gut … Ich liebe dich, Beauchamp.«
»Ich dich auch. Bis sechs dann, ja?«
»Ja. Und bleib brav.«
»Aber
Weitere Kostenlose Bücher